Pelbar 7 Das Schwert der Geduld
als sie sich hinunterbeugte, um ihn zu küssen. Dann stand sie auf und strich ihr Gewand glatt.
Sie blickte ihren Leibgardisten an, der sich ein Grinsen verbiß. Dann schaute sie wieder zu Stel und sagte: »Du hast dich nicht gewehrt, oder?«
»Auf welche Weise meinst du, Protektorin?« flü-
sterte Stel. Dann lächelte er ein wenig und schloß die Augen.
ELF
Noch ehe Ahroe Threerivers erreichte, fror der Fluß zu, und ihr kleines Dampfboot konnte nicht weiter-fahren; bald danach machten die starken Schneefälle das Reisen überhaupt mühsam. Aber es drängte sie, der kleinen Gruppe von Delegierten der Heart-Fluß-
Föderation, die sich noch in der neuen Stadt befanden, über ihr Treffen mit den Ostländern zu berichten, und so eilte sie, nur von vier Gardisten begleitet, auf Schneegleitern flußaufwärts.
Außerdem regte sie das an. Es erinnerte sie an die Zeit vor so vielen Jahren, als sie Pelbarigan im Winter verlassen hatte, um Stel zu suchen. Das Stöhnen des Windes in den kahlen Zweigen, das gedämpfte Gleiten der Holzbretter, der Schneehaufen um die nach oben gebogenen Spitzen, wie Wasser, das von einem Schiffsbug geteilt wird, alles fügte sich zu einem Rhythmus zusammen, auf den sie reagierte, und ihr Körper machte die Erschütterungen und die ständigen Strapazen des Unterwegsseins bereitwillig mit.
Sie war auch unruhig. Stels Buch hatte schon böses Blut gemacht, ehe sie aufgebrochen war, und sie hatte das seltsame Gefühl, daß ihr Unannehmlichkeiten bevorstanden. Stel war in dieser Sache von einer so sanften Eigensinnigkeit. Alle sollten sich seinen Wünschen beugen. Ja, er sah eine Gesellschaft offenbar als eine Ansammlung von Individuen, die zufällig zu-sammenlebten – und das trotz seiner strengen Pelbar-Erziehung. Ihre alte Gereiztheit ihm gegenüber war wieder aufgeflammt. Er erschien ihr so querköpfig.
Ungefähr zur gleichen Zeit fand Alance, als sie in ihre Gemächer zurückkehrte, einen Zettel an die Tür ge-heftet. Sie nahm ihn herunter und las: Alles Schrifttum ist von Gott inspiriert, es bringt Gewinn in der Lehre, beim Tadel, bei der Zurechtweisung und bei der Erziehung zur Rechtschaffenheit, auf daß der Mann Gottes vollkommen sei und ausgerüstet für jede gute Tat. Sie zerknüllte den Zettel, den vierten, den sie in den letzten zwei Tagen gefunden hatte. Pelbarigan war an diese Art von Aufsässigkeit nicht gewöhnt. Zwei alte Leute waren schon nach Nordwall aufgebrochen, betont auffällig, wie ihr schien. Obwohl sie behaupteten, dort nur einen Besuch machen zu wollen, nahmen sie alle ihre Habseligkeiten mit oder verschenkten sie. Alance fühlte sich unbehaglich. Es erinnerte zu sehr an Threerivers, das unter der allzu harten Hand der früheren Protektorin Udge fast zerbrochen war.
Aber auch die Konservativen und die Geistlichkeit hatten sich lautstark zu Wort gemeldet, und in diesem Falle schienen sie die Mehrheit zu haben. Alances alte Zuneigung zu Stel, die bei denen, die mit ihr zusammen jung gewesen waren, weithin bekannt war, hatte sie bewogen, sich ihm gegenüber hart zu zeigen, um jedem Vorwurf der Begünstigung von vornherein zu begegnen. Er selbst hatte außer Ahroe nie eine andere Frau gesehen, so dachte sie jedenfalls.
Am nächsten Morgen rief ein Gardist sie ans Fenster, damit sie sich eine Schrift ansah, die in den Schnee auf dem Flußeis gespurt worden war. Sie lautete:
Ihr möget ausziehen in Freuden, angeführt in Frieden.
Alance sagte ruhig: »Die Gardisten sollen es austre-ten, Sard! Sofort! Jetzt ist es noch früh.« Sie schaute weiter hinunter, die Hände auf dem Rücken, und sah, wie wieder eine kleine Gruppe, drei Schlitten hinter sich herziehend, die Stadt verließ und in nördlicher Richtung durch den Schnee stapfte. Am Flußufer stand eine kleine Menge, um sie zu verabschieden.
Sie nahm ihre Glocke, rief den Gardisten an ihrer Tür und sagte: »Hol mir bitte eine Vertreterin dieser Leute, die gerade aufbrechen. Ich möchte mit ihr sprechen.«
Alance blieb am Fenster stehen, obwohl sie hörte, daß jemand klopfte, und rief nur über die Schulter, er möge eintreten. »Komm hierher!« sagte sie. »Ich bin am Fenster.«
Es war Jun, eine Geistliche. »Dieses Buch von Stel, es verbreitet sich überall, Protektorin, wie eine Infek-tion.«
»Ja. Glaubst du, ich habe mich nicht angemessen verhalten?«
»Du hast ihnen in der Bücherei Zugang gegeben.«
»Wurde das in Anspruch genommen?«
»Von wenigen. Sehr wenigen.«
»Man hat mir gesagt, die
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