Pelbar 7 Das Schwert der Geduld
an der Wand. Ahroe las ›November 2009‹ über der Karte, und hinter der Zahl 22 stand in wilder, aber leserlicher Handschrift: ›Und hier endet alles, drinnen wie draußen.‹
Ahroe hustete in der staubigen Trockenheit. Ihr Blick schweifte weiter durch den Raum, und sie sah auf der anderen Seite drei längliche Gegenstände ne-beneinanderliegen. Stels Spuren führten zu ihnen hin, und als sie näherkam, sah sie auch, warum er im Staub niedergekniet war. Sie zog scharf die Luft ein.
Verschrumpelt und mumifiziert lagen die Leichen von einer Frau und zwei Kindern mit dem Gesicht nach oben auf dem Boden. Weiter hinten konnte Ahroe im Dämmerlicht noch eine groteske Gestalt erkennen, die auf einem Stuhl hinter einem der Tische festgeklemmt war.
Erst jetzt bemerkte sie, daß Stels grüner Faden durch den Raum zu dieser Gestalt führte, die in der Trockenheit ebenfalls mumifiziert war. Der Zeigefinger einer Hand deutete auf einige verstreute Rechtek-ke aus dickem Papier. Ahroe konnte sehen, daß Stel von einigen den Staub weggewischt hatte. Auf dreien davon waren Achten zu sehen. Die anderen verstand sie nicht.
Stel hatte den Faden in Form einer Gabel geknotet.
Ein Teil führte zu der ausgestreckten Hand des Mannes, ging darüber hinweg und war ordentlich um das alte Buch gebunden, dessentwegen sie gekommen war. Der zweite wies zur anderen Hand des Mannes, die einen sonderbaren Metallgegenstand umfaßt hielt. Ahroe erkannte sofort, daß es sich um eine kurze Ausgabe des Gewehrs handelte, das sie vor kurzem wieder entwickelt hatten. Aber diese Waffe wurde in der Hand gehalten.
Ahroes Blick wanderte zum Kopf der Mumie hinauf. Die Zähne grinsten grausig zwischen den ver-schrumpelten Lippen hervor, und sie konnte sehen, daß er die Waffe gegen sich selbst gerichtet hatte – und wahrscheinlich auch gegen die anderen.
Schaudernd wand Ahroe dem Mann die Waffe aus der Hand und ließ sie in ihre Manteltasche fallen.
Dann griff sie nach dem Buch. Als sie es aufhob, flatterte ein Zettel heraus. Sie hockte sich in den Staub und las ihn beim Schein der Lampe. Er war mit Blut geschrieben, zweifellos ein ironischer Seitenhieb von Stel.
Ahroe. Hier ist das Buch, das dir so wichtig war, daß du alles dafür tun wolltest. Daß du dich so verhalten hast, hat mich der ganzen Sache überdrüssig gemacht. Ich glaube immer noch, daß es wieder allen Gesellschaften weissagen sollte. Es ist zweifellos ein unbequemes Buch.
Ich glaube, ich verstehe von einem Teil dessen, was es sagt, den Sinn, aber es lohnt sich, es viel gründlicher zu studieren. Ich kann es ohnehin nicht mehr lesen. Möget ihr, die Protektorin und du, Freude daran finden. Bitte lies etwas vom letzten Teil, ehe du es ihr gibst. Jetzt gleich. Um herauszukommen, geh die Treppe wieder hinunter, nimm aber dann den linken Gang. Wenn du das Geröllfeld erreichst, krieche darüber. Du bist jetzt seit drei Tagen hier. Ich wünsche dir eine gute Rückrei-se. Ich komme nicht mit. Leb wohl, meine Liebe.
Stel
Einfach so? Leb wohl, meine Liebe? Dann war er wohl fort? Wollte nicht zurückkehren? Ahroe las den Zettel noch einmal, blickte sich ein letztes Mal um und verließ den Raum. Sie fand die Stelle, wo sich die Treppe gabelte, wandte sich nach links und kletterte, wie Stel es ihr geraten hatte, ein Geröllfeld hinauf. Als sie sich bis nach oben vorgearbeitet hatte, sah sie vor sich ein Licht. Stolpernd und rutschend erreichte sie dieselbe Eingangskammer, in der sie schon gewesen war. Ihre Schneegleiter lehnten ordentlich an der Wand, daneben stand eine Schale Eintopf, noch etwas warm. Sie nahm den Eintopf und setzte sich zum Essen in den Eingang, wo sie freien Blick nach draußen hatte. Es war fast Nacht, ein trüber Wintertag. Der Schnee wurde im ständigen Regen zu Matsch, und Ahroe kam es vor, als passe die ganze Welt zu ihrer gegenwärtigen, gedrückten Stimmung.
VIERZEHN
Ahroe schlief in dieser Nacht im Höhleneingang und blieb auch den nächsten Tag dort, sie sah in den Regen hinaus und horchte auf Stel. Aber gegen Abend bedrückte sie der Ort, sie schrieb Stel einen Zettel, packte ihr Bündel zusammen und machte sich auf den Weg zur anderen Hütte.
Als sie sie erreichte, war es schon dunkel. Da sie nun endlich hungrig war, wärmte sie sich über der Lampe Kornbrei und süßte ihn mit ein paar Löffeln aus einem Honigtopf, den sie auf einem Regalbrett fand. Dann kochte sie Tee und beschloß, die Stille dadurch von sich abzuhalten, daß sie in dem alten Buch
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