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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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spielte. Ihr Vater gehörte zu den Berliner Philharmonikern und hatte seiner Tochter schon im zartesten Kindesalter eine Violine in die Hand gedrückt. Dank gründlicher Ausbildung beherrschte Mariele das Instrument bereits virtuos und wurde bald zum tragenden Element des Schulorchesters, das ohnehin fast nur aus Blockflöten bestand. Darüber hinaus bereicherte sie mit eindrucksvollen Soli so manches offizielle und inoffizielle Klassenfest.
    Die restlichen Mitglieder der 2a setzten sich aus Einzelgängern zusammen, die immer ein bißchen farblos blieben, nie eine eigene Meinung hatten und sich grundsätzlich der Mehrheit beugten, ganz egal, was die nun gerade beschlossen hatte.
    Auch unser Lehrerkollegium war ziemlich zusammengewürfelt und überwiegend weiblich. Sogar das Direktorat lag in den Händen der sehr resoluten Oberstudiendirektorin Rothe, die sich ihrer Aufgabe mit viel Energie und mitunter sogar mit weiblichem Charme unterzog.
    Da sich ein Teil der Lehrer noch in Gefangenschaft befand oder den Krieg nicht überlebt hatte, wurde alles verpflichtet, was an pädagogisch ausgebildeten Kräften zur Verfügung stand, einschließlich Pensionisten. Man holte sie aus ihrem wohlverdienten Ruhestand zurück, und zum Teil war es nur ihnen zu verdanken, daß der Schulbetrieb verhältnismäßig früh wieder anfing.
    Die männliche Komponente unseres Lehrerkollegiums vertraten Herr Dr. Strack und Studienrat Weigand. Letzterer war gebürtiger Kölner, augenblicklich unfreiwilliger Berliner und bisher ausschließlich an Gymnasien tätig gewesen. Er wurde unser Klassenlehrer und gab Mathe und Physik. Vermutlich war er ein recht guter Mathematiker, seine pädagogischen Fähigkeiten ließen jedoch zu wünschen übrig. Aber vielleicht war er einfach den Umgang mit kichernden Backfischen nicht gewöhnt. Jedenfalls verachteten wir ihn zutiefst und machten ihm das Leben reichlich schwer.
    Nun war Mathematik ohnehin nie meine Stärke, und ich bin in ihre Geheimnisse auch nicht sehr tief eingedrungen. Der Lehrsatz des Pythagoras war die letzte geometrische Formel, die ich in vollem Umfang begriffen habe; was danach kam, blieb in ewiges Dunkel gehüllt. Da man aber beim besten Willen nicht jede Aufgabe mit Hilfe der beiden Kathetenquadrate lösen kann – bei Kreisberechnungen oder auch beim Wurzelziehen erweisen sie sich als völlig unzureichend –, war ich in späteren Jahren ausschließlich auf die Kenntnisse meiner Mitschülerinnen angewiesen und kam deshalb auch nie von meiner traditionellen Vier herunter.
    Erdkunde und Geschichte hatten wir bei Dr. Strack, jenem in Ehren ergrauten und seit zwei Jahren pensionierten Schulmann, der nicht nur schwer hörte, sondern außerdem extrem kurzsichtig war. Seine Brille stammte wohl noch aus der Zeit, als er besser sehen konnte. Da er sie jedoch fast immer vergaß, war er unseren Machenschaften nahezu hilflos ausgeliefert. So hängten wir einmal statt der benötigten Karte von Spanien die von Afrika auf, suchten Sevilla in der Gegend vom Oranje-Freistaat, und es dauerte ziemlich lange, bis Dr. Strack den Irrtum bemerkte. Selbst dann glaubte er noch an ein verzeihliches Versehen.
    Schrieben wir Klassenarbeiten oder wurden wir mündlich geprüft, dann benutzten wir einfach die aufgeschlagenen Bücher und Hefte und riefen den Prüfungskandidaten in nur geringfügig gemäßigter Lautstärke alles Erforderliche zu.
    Leider wurde Dr. Strack nach einigen Monaten von Fräulein Ramburg abgelöst, einer betulichen älteren Dame ohne nennenswerte Eigenschaften, die uns nach kurzer Prüfung völlige Unkenntnis im geographischen Bereich bescheinigte und wieder mit der oberrheinischen Tiefebene anfing.
    Biologie gab Frau Griesinger, eine vierschrötige Walküre, unter deren wuchtigen Schritten das Katheder erzitterte. Sie hatte eine Vorliebe für dunkelgraue Röcke und einzellige Lebewesen, mit deren Abarten sie uns monatelang traktierte. Außerdem legte sie Wert auf sorgfältig geführte Hefte und möglichst naturgetreu angefertigte Zeichnungen. So malte ich geduldig Hunderte von exakt gleichlangen Strichen (Wimperntierchen), pauste aus einem Lexikon den Querschnitt irgendeiner Amöbe ab und hatte mehrmals die Genugtuung, daß mein Heft als Beispiel sorgfältiger Arbeit meinen desinteressierten Mitschülerinnen präsentiert wurde. Zum Glück übersah Frau Griesinger bei diesen Gelegenheiten, daß der Begleittext zu meinen Gemälden sehr knapp war. Es genügte ihr völlig, wenn man wenigstens die

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