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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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Schokolade mehr gesehen, geschweige denn gegessen hatten, erschien sie als Inbegriff alles Köstlichen.
    Hatten wir nachmittags Schule, dann bekamen wir unsere Suppe kalt oder bestenfalls lauwarm, was den Geschmack nicht sonderlich verbesserte. Wir nahmen sie meistens mit nach Hause, wo die Mütter sie entweder wieder aufwärmten oder (Mami tat das oft genug) in die Toilette kippten. Sie hatte etwas gegen Käfer und Maden im Essen! Demnach hatten also zumindest wir doch noch nicht das Stadium erreicht, wo viele Menschen aus Hunger Kartoffelschalen oder auch Suppe mit recht zweifelhafter Einlage aßen.
    Ich weiß allerdings noch, daß ich einmal junge Brennesseln und Löwenzahnblätter sammelte, aus denen Tante Else Spinat kochte. Damals erschien mir das als Endstufe der Zivilisation; heute wird der Genuß von jungem Löwenzahn in einschlägigen Zeitschriften als Delikatesse angepriesen. So ändern sich die Zeiten!
24
    Der Schulalltag verlief weniger hektisch als heutzutage. Vielleicht lag es aber auch nur daran, daß wir zum Teil schon über ein Jahr lang zwangsweise Ferien gehabt hatten und sogar freiwillig bereit waren, mal wieder etwas zu lernen.
    Natürlich herrschte auch in unserer Klasse die in allen Schulen verbreitete Cliquenbildung; aber bei uns stützte sie sich weniger auf Sympathie- oder Antipathiegefühle, sondern mehr auf den gemeinsamen Schulweg, der bei uns allen ziemlich lang war. Da gab es einmal die Zehlendorfer Clique, zu der auch ich gehörte. Anfangs war sie die größte; aber als bei der nächsten Versetzung eine ganze Menge Schülerinnen klebenblieb, schmolz unser Häuflein auf Gerda, Irene, Anita und mich zusammen. Wir wohnten alle in ›Onkel-Toms-Hütte‹, trafen uns morgens auf dem Bahnhof, fuhren die vier Stationen zur Podbielskiallee und pilgerten die letzten anderthalb Kilometer zu Fuß. War eine von uns mal nicht pünktlich und verpaßte den Zug, dann warteten die anderen aus Solidarität. Damals verkehrte die U-Bahn nur alle zwanzig Minuten, und wer den Zug um 7.28 Uhr nicht erreichte, hetzte verspätet mit hängender Zunge die endlos lange Podbielskiallee entlang und schaffte es doch nicht mehr rechtzeitig. Tauchten wir jedoch zu viert gegen Viertel neun im Klassenzimmer auf, dann war eben mal wieder ein Zug ausgefallen. So etwas kam gelegentlich vor, und das Gegenteil war selten zu beweisen.
    Dann gab es die Lichterfelder Clique, zu der Evchen, Karla, Lilo und noch ein paar andere gehörten. Evchen hieß eigentlich Eva-Maria, aber da die Länge ihres Namens in umgekehrtem Verhältnis zu ihrer Körpergröße stand, nannten wir sie Evchen. Sie war übrigens der Klassensäugling und ganze 16 Tage jünger als ich, eine Tatsache, die mich außerordentlich befriedigte. Bisher war ich in jeder Klasse der Benjamin gewesen, und nun war ich diese zweifelhafte Ehre endlich los. Trotzdem wurde ich zusammen mit Evchen bei der Pockenschutzimpfung zurückgestellt, weil wir das für diese Prozedur notwendige Alter noch nicht erreicht hatten. Wir sollten erst im nächsten Jahr drankommen.
    Evchens Busenfreundin hieß Sigrun, ihr zweiter Vorname lautete nicht minder klangvoll Iduna und endete mit einem ernüchternden Lehmann. Sie trug den Berliner Portieradel mit Humor, entschuldigte den nicht ganz gebräuchlichen Vornamen mit dem nordischen Spleen ihrer Mutter und enthüllte uns schließlich, ihr Bruder heiße Beowulf, und das fände sie noch viel entsetzlicher. Sigrun war Klassenbeste, aber im Gegensatz zu den meisten dieser Kirchenlichter weder streberhaft noch unkameradschaftlich. Oft genug mußte sie noch während der Unterrichtsstunde nach ihrem Heft fahnden, aus dem wir reihenweise abgeschrieben hatten, und das dann bei irgend jemandem hängengeblieben war.
    Die Steglitzer Clique wurde angeführt von Ilse, der Längsten von uns und begehrter Partner bei sämtlichen Ballspielen. Sie verhalf der jeweiligen Partei fast immer zum Sieg.
    Blieb noch die Dahlemer Gruppe. Zu ihr gehörte eine Zeitlang der Abkömmling einer bekannten Schauspielerfamilie, und ich finde es ganz lustig, wenn ich meine ehemalige Mitschülerin hin und wieder auf dem Bildschirm entdecke. Heute trägt sie einen klangvollen Namen, bei uns hieß sie noch schlicht Ellinor. Im übrigen waren ihre Talente wohl mehr im Künstlerischen zu suchen, denn sie ist auch sitzengeblieben und hat daraufhin die Schule gewechselt.
    Bemerkenswertestes Mitglied der Dahlemer war zweifellos Mariele, die eigentlich Marie-Luise hieß und Geige

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