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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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organisieren. Opa Helmchen, nachweislich nie Parteimitglied und deshalb schon längst wieder in den Verwaltungsapparat integriert, war aber leider zu korrekt, um auch nur einen einzigen Bogen Briefpapier zu entwenden, geschweige einen ganzen Stenogrammblock. Schließlich zog Mami irgendwo einen Stapel gedruckter Verordnungen an Land, und ich hatte für eine Weile ausgesorgt. Auf der einen Seite stand ein englischer Text, der sich mit dem Verhalten amerikanischer Truppenangehöriger bei dem eventuellen Ausbruch eines Feuers befaßte; auf die andere Seite schrieb ich Abhandlungen über das Verhalten von Pantoffeltierchen in Süßwasserseen.
    Einen wesentlichen Bestandteil des Schulalltags bildete die Schulspeisung. Hierbei handelte es sich um das Ergebnis einer großangelegten Spendenaktion, die amerikanische Wohlfahrtsorganisationen ins Leben gerufen hatten. Von ihnen stammten auch die heute schon legendären Care-Pakete und vermutlich auch die Kleiderspenden. Letztere zeichneten sich dadurch aus, daß sie immer sehr farbenfreudig, selten ganz sauber und meistens leicht beschädigt waren. Aber was soll’s? Heute machen wir es ja nicht anders, sammeln Teile unseres Wohlstandsmülls in Plastiksäcken und schicken sie als Sachspenden nach Biafra oder Bangladesch. Damals waren die bunten Kleider jedenfalls ein sehr begehrter Artikel, denn nicht jeder hatte eine Tante Else zu Hause, deren früher etwas herablassend belächelte Flickschneiderei ich inzwischen wohl zu schätzen wußte.
    Eines Tages wurden wir also aufgefordert, morgen ein Gefäß und einen Löffel mitzubringen, denn wir würden erstmalig in den Genuß der schon mehrmals angekündigten Schulspeisung kommen. Omi drückte mir ein schon etwas lädiertes Blechschüsselchen in die Hand, weil es nicht kaputtgehen konnte; ich schämte mich wegen dieses Freßnapfes entsetzlich und hatte den festen Vorsatz, ihn keineswegs der Öffentlichkeit zu präsentieren. Aber die anderen Schülerinnen waren ähnlich praktisch ausgerüstet. Die meisten Mädchen schwenkten sogar Kochgeschirre, oft der einzige
    Besitz, den heimkehrende Väter aus Krieg oder Gefangenschaft mitgebracht hatten. Später kaufte Mami mir ein verschließbares Gefäß, das den gefahrlosen Transport der meist sehr flüssigen Schulspeisung garantierte. Es war aber auch aus Blech, und vermutlich datiert seit jener Zeit meine Abneigung gegen jede Art von Blechgeschirr.
    Als es zur großen Pause läutete – sie war wegen der erwarteten Freßorgie um eine Stunde verschoben worden und begann erst um halb elf – beobachteten wir zum erstenmal das Ritual, das sich von nun an täglich wiederholen sollte: Ein Armeelastwagen fuhr vor, zwei Männer luden mehrere große Kübel ab, die ein bißchen an Mülltonnen erinnerten, stellten die Dinger auf den Flur und verschwanden wieder. Den Weitertransport zur Turnhalle übernahmen Schülerinnen der oberen Klassen, während das Lehrerkollegium sich in neckische Schürzen wickelte, mit riesigen Kellen bewaffnete, und dann wurden unter Anteilnahme der vollzählig versammelten Schüler die Deckel geöffnet.
    Später wurden wir klassenweise zum Essenempfang abkommandiert, aber wir wußten sowieso schon, was uns erwartete. Die Speisekarte war nicht sonderlich abwechslungsreich – was durchaus verständlich ist –, und variierte im wesentlichen zwischen Grießsuppe, Kartoffelsuppe, Kekssuppe und einer etwas undefinierbaren Suppe, die vorwiegend aus Maismehl bestand und für die wir nie einen passenden Namen fanden. Abwechslung gab es nur insofern, als wir in der Kartoffelsuppe mitunter eigenartige Käfer fanden und in der undefinierbaren Suppe Würmer. Die Kekssuppe war gelegentlich angereichert durch große Stücke Zellophanpapier, was uns vermuten ließ, daß man die Kekse samt Verpackung in den Kochtopf geworfen hatte.
    Ich unterstelle den Amerikanern keineswegs, daß sie uns mit verdorbenen Lebensmitteln beliefert haben, aber sie spendeten ja nur die Zutaten, während die Verarbeitung weitgehend in deutscher Hand lag. Und bei uns dominierte überall der Selbsterhaltungstrieb!
    Unsere anfängliche Begeisterung für die Schulspeisung flaute also mit der Zeit merklich ab und erreichte nur dann einen gelegentlichen Höhepunkt, wenn wir statt der üblichen Suppe eine Packung Crackers oder eine kleine Tafel Schokolade bekamen. Letztere würde heute vermutlich nicht einmal mehr als Sonderangebot im Supermarkt verkauft werden; aber uns, die wir zum Teil schon seit Jahren keine

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