Pellkartoffeln und Popcorn
nicht nur die Interpunktion beherrschten, sondern darüber hinaus auch noch stenografieren konnten! Irgendwie hatte ich mich aber doch dem Tempo angepaßt, und wenn auch meine Schrift erhebliche Anforderungen an Quasis graphologische Fähigkeiten stellen würde, so war zumindest der Text vollständig. Anita, Sigrun und noch zwei oder drei andere hatten es ebenfalls geschafft; der Rest blieb kläglich auf der Strecke. Als es läutete, ließ Quasi die Zettel einsammeln, stopfte sie in ihre Tasche und verschwand. Zurück blieb eine verstörte Klasse.
»Die spinnt wohl! – »Das kann sie mit uns aber nicht machen!« – »Die hat sich ja prima eingeführt!« – »Mit der werden wir noch was erleben!« – »Die ekeln wir wieder raus!«
Letzteres erschien uns gar nicht so schwierig, denn wir waren ein ziemlich verschworener Haufen und hatten mißliebigen Lehrkräften schon so manche Nuß zum Knacken gegeben. Aber einmal sollten wir auf Granit beißen. Wir ahnten es nur noch nicht. Deshalb sahen wir der nächsten Deutschstunde auch einigermaßen gelassen entgegen und waren keineswegs überrascht, als Quasi uns eröffnete, das Diktat sei miserabel ausgefallen und hatte ihre ohnehin nicht hochangespannten Erwartungen noch unterboten.
»Ich habe euch die Arbeit hauptsächlich deshalb schreiben lassen, um festzustellen, welche Voraussetzungen ihr mitbringt. Offenbar gar keine, und wir werden wohl gemeinsam von vorne anfangen müssen!«
Irene erhob sich, um die wohlpräparierte und unter Assistenz der ganzen Klasse ausgearbeitete Ansprache zu halten. »Frau Doktor Cornelius, wir haben…«
»Ja, ich weiß schon, der Text war zu schwer, das Tempo zu schnell, Fremdwörter kennt ihr gar nicht, und von Interpunktion habt ihr noch nie etwas gehört. Herrschaften, ihr seid doch nicht mehr in der Grundschule!«
Während der restlichen Stunde erhielten wir einen großen Aufriß dessen, was uns künftig erwartete. Demnach würden wir vorzugsweise Grammatik pauken, Zeichenregeln, Satzgliederungen und ähnlich verhaßte Begleiterscheinungen der deutschen Sprache, über die uns Fräulein Leibnitz in beklagenswerter Unkenntnis gelassen hatte.
Nach dem Unterricht versammelten wir uns im Botanischen Garten und hielten Kriegsrat. »Ich habe euch ja gesagt, was uns bevorsteht«, frohlockte Brigitte, stolz, daß sie recht behalten hatte.
»Bisher haben wir noch jeden kleingekriegt, wenn wir es darauf angelegt hatten. Wir dürfen bloß nicht gleich die Flinte ins Korn werfen.«
»Versuchen wir es doch mal wieder mit passivem Widerstand«, schlug Gerda vor, »das hat doch immer ganz gut geklappt.«
Als Quasi am nächsten Tag die Klasse betrat, sah sie sich einer sichtlich gelangweilten Meute gegenüber. Anita hatte bedauerlicherweise ihr Hausaufgabenheft vergessen, Sigrun meinte, heute sei Donnerstag und folglich kein Deutschunterricht, Ilse war der Auffassung, wir hätten überhaupt nichts aufgehabt; und ich hatte angeblich ein ganz falsches Lesestück durchgeackert.
Quasi merkte erstaunlich schnell, was hier gespielt wurde. »Wenn ihr durchaus nicht wollt, dann werde ich euch zu nichts zwingen!« Sprach’s, setzte sich ans Katheder, holte einen Stapel Hefte heraus und vertiefte sich in Korrekturen.
Damit hatten wir nun keineswegs gerechnet. Wir sahen uns ziemlich ratlos an, wußten nicht, was wir machen sollten, und bereits nach fünf Minuten langweilten wir uns ganz erbärmlich. »Ihr könnt ruhig Hausaufgaben machen«, gestattete Quasi freundlich. Wir hatten gerade die erste Stunde und noch keine auf.
»Vielleicht möchtet ihr etwas lesen?« ermunterte sie uns hilfsbereit.
Unsere literarischen Interessen bewegten sich noch auf dem Niveau von ›Nesthäkchen‹, ›Försters Pucki‹ und allenfalls Karl May, Lektüre also, die unsere geistige Unreife allzu deutlich dokumentiert hätte.
Die Minuten schlichen dahin, und beim Klingelzeichen atmeten wir einstimmig auf. Quasi packte ihre Hefte ein, verabschiedete sich mit einem Kopfnicken und ging gelassen hinaus. Danach herrschte allgemeine Ratlosigkeit. Immerhin fanden wir uns nach Schulschluß wieder an unserem Treffpunkt ein; aber diesmal konnten wir uns einfach nicht einigen. Ein Teil der Klasse plädierte für bedingungslose Kapitulation, die andere Hälfte war mehr für Partisanenkrieg. So vollzog sich unter den ausladenden Zweigen einer Fagus sylvatica purpurea – handelsüblich Blutbuche genannt – die Spaltung der bis dahin schon fast legendären Klassengemeinschaft der
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