Pellkartoffeln und Popcorn
Hilfe der Hefeflocken und unter Verwendung von Maismehl, Sacharin und irgendwelchen Aromen zwei Kuchen gebacken, die sich zwar nicht aus der Form lösen ließen, aber doch beinahe wie Kuchen aussahen. Einen davon – sie bezeichnete ihn als Sandtorte – bekamen wir. Er hat auch tatsächlich beim Essen geknirscht.
Die Ferien verbrachte ich fast ausschließlich bei Gina. Gerda war sowieso nicht da, sie sollte sich von einer mit einem Schwein und Federvieh gesegneten Tante ein bißchen herausfüttern lassen, Irene war ebenfalls bei Verwandten; und Anita lag mit Masern im Bett. Außerdem fühlte ich mich bei Biegerts ausgesprochen wohl. Seitdem Omi ausgezogen war, herrschten zwar auch bei uns liberale Verhältnisse, und niemand hatte etwas dagegen, wenn alle meine Freundinnen antrabten. Häufige Zusammenkünfte der gesamten Clique scheiterten jedoch am Platzmangel. Mein Zimmer war nicht sehr groß, und mindestens zwei Personen mußten immer auf dem Boden hocken.
Bei Biegerts gab es genügend Platz. Sie bewohnten ein Reihenhaus, waren der zwangsweisen Einquartierung wohnungsloser Mitbürger entgangen und fanden es durchaus natürlich, daß wir ihr Heim regelrecht beschlagnahmten. Meistens saßen wir in Ginas Mansarde, aber wir durften uns auch im Wohnzimmer breitmachen. Und manchmal mußte uns Frau Biegert sogar aus der Küche werfen, wenn sie sich ums Essen kümmern wollte. Sie ertrug die Invasion kichernder Halbwüchsiger mit bewundernswerter Gelassenheit, ignorierte hingeworfene Jacken, stieg schweigend über herumliegende Schulmappen und heruntergefallene Hefte und erlaubte sich höchstens mal die Bemerkung: »Wann zieht ihr eigentlich endgültig hierher?«
Hatten wir sie aber tatsächlich zwei oder drei Tage lang mit unserer Anwesenheit verschont und uns mal wieder bei Irene etabliert, dann beschwerte sie sich prompt. »Ich dachte schon, ihr seid alle ausgewandert. Warum läßt sich denn niemand mehr hier blicken?«
Gina hatte noch einen Bruder und eine wesentlich jüngere Schwester. Letztere bekamen wir kaum zu Gesicht; aber den Knaben Axel mochten wir alle. Er zeigte sich der weiblichen Überzahl völlig gewachsen, begegnete gelegentlichen Sticheleien mit einer beneidenswerten Schlagfertigkeit, und nahm nie übel. Axel klaute Äpfel in fremden Gärten, wenn wir die Bäume bei Biegerts schon kahlgefuttert hatten. Axel schwang sich bereitwillig auf sein klappriges Fahrrad, um an der nächsten Litfaßsäule die Kinoprogramme abzuschreiben. Axel ergründete, in welchem Bezirk gerade keine Stromsperre herrschte. Und Axel besorgte auch noch die Kino-Karten, vorausgesetzt, wir finanzierten seine eigene.
Kino gehörte damals zu unserem bevorzugten Freizeitvergnügen. Andere Auswahlmöglichkeiten gab es kaum, denn für Tanzdielen interessierten wir uns noch nicht, und in den Zoo konnte man schließlich auch nicht immerzu gehen, wenn wir auch bei jedem Besuch neue Zeichen des Wiederaufbaus entdeckten. Blieb also das Kino. Davon gab es ’ne Menge, und wenn man bedenkt, daß ein Pfund Zucker auf dem schwarzen Markt 120 Reichsmark kostete und eine Kinokarte 1.50 Reichsmark, dann war das ein recht billiges Vergnügen. Wir gingen meistens in die zweite Vorstellung um sechs.
Ich glaube, es hat in den ersten Nachkriegsjahren keinen amerikanischen Film gegeben, den ich nicht gesehen habe, viele davon mehrmals. Ein prominenter Zeitgenosse hat einmal behauptet, die damalige Filmsynchronisation sei die Rache der Deutschen an den Alliierten gewesen; und ich kann ihm nur beipflichten. Dabei waren wir schon froh, wenn die Filme überhaupt in synchronisierter Fassung liefen, denn die meisten wurden uns mit Originalton und deutschen Untertiteln präsentiert. Aber die dümmlichen Dialoge interessierten uns ohnehin kaum, wir waren vielmehr fasziniert von der heilen Welt, die wir auf der Leinwand sahen. Da gab es keine Ruinen (die deutschen Nachkriegsfilme spielten fast nur im Trümmermilieu), es gab keine Sorgen; es gab nur ständig Liebeskummer oder Leichen. Letztere kamen in Wildwestfilmen vor und wir bildeten uns eine Zeitlang tatsächlich ein, daß mindestens die Hälfte der männlichen US-Bürger Cowboys wären. Die andere Hälfte bestand offenbar aus Alkoholikern, denn in den meisten Filmen wurde unentwegt Whisky getrunken.
An einen Film kann ich mich besonders gut erinnern. Er hieß ›Die badende Venus‹, spielte vorwiegend in märchenhaften Swimmingpools, und die Heldin trat fast nur im Badeanzug auf. Es war zwar immer
Weitere Kostenlose Bücher