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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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»Ach, so ist dat also? Ich hätt’ euch ja janz jern behalten, aber die Frau Cornelius wollte euch unbedingt haben, und man ist ja irgendwo noch Kavalier.«
    Zu unserer neuen, oder besser gesagt alten Schule gehörte auch ein Schulgarten, in dem früher der Pedell Gemüse gezogen und sein nicht gerade fürstliches Einkommen durch den Verkauf von erntefrischen Kohlrabiknollen und Prinzenerbsen aufgebessert hatte. Den Pedell gab es nicht mehr; jetzt hatten wir eine ›Hausmeisterin‹, die in ihrer Freizeit viel lieber Sofakissen häkelte.
    Nun war der Garten aber da, und irgendwie sollte er auch genutzt werden. Frau Griesinger entschied sich für praktische Biologie, ordnete für die nächste Unterrichtsstunde das Mitbringen von Spaten und Harken an und schickte uns in die Unkrautwüste, auf daß wir sie kultivieren. Die meisten von uns hatten ohnehin schon eine unfreiwillige Gärtnerlehre hinter sich, und so beackerten wir mit erstaunlicher Sachkenntnis das uns zugeteilte Revier. Genauer gesagt, die anderen taten das. Ich habe schon immer einen Horror vor allem gehabt, was kriecht und krabbelt; und nachdem ich beim ersten Spatenstich einen Regenwurm halbiert und beim zweiten eine fette Larve ausgegraben hatte, schmiß ich den Spaten hin und beschwor meine Mitschülerinnen der Reihe nach, meinen Anteil an den Grabungsarbeiten zu übernehmen. Natürlich sei ich zu Gegendiensten gern bereit. »Na schön, ich mach’s«, sagte Lilo, »aber dafür gibst du mir für zwei Tage dein Bioheft.«
    Meinethalben hätte sie es zwei Wochen lang haben können. So verzog ich mich hinter meinen Jasminstrauch und verfolgte von sicherer Warte, wie meine Klassenkameradinnen gruben und harkten und die fertigbearbeitete Fläche endlich in 26 handtuchgroße Beete aufteilten. Jeder bekam ein Handtuch zugewiesen. Die Bepflanzung desselben sollte schnellwachsend, nahrhaft und bei jeder Schülerin anders sein. Schließlich sollten wir ja auch etwas lernen! Weil es läutete, vertagten wir die ganze Planung bis zur nächsten Biologie-Stunde.
    Entgegen allen agronomischen Erkenntnissen, wonach Regenwürmer nützlich und deshalb unbedingt im Boden zu belassen sind, hatte Irene jeden ausgebuddelten Wurm eingesammelt und in die Blechbüchse gestopft, in der sie sonst ihr Frühstücksbrot zu transportieren pflegte. »Was glaubt ihr wohl, wie sich meine Hühner zu Hause freuen werden!«
    Als ich in der darauffolgenden Englischstunde meinen Federkasten öffnete (wir benutzten damals keine Mäppchen, sondern größtenteils doppelstöckige schmale Holzkästen mit Schiebedeckel), bekam ich Stielaugen, wurde starr vor Entsetzen und brüllte los. Zwischen Bleistiften und Füllfederhalter wanden und schlängelten sich Regenwürmer, krochen nebeneinander, übereinander und aus dem Kasten heraus… Ich sprang schreiend auf, raste zur Tür und dann hinaus, begleitet von schallendem Gelächter und Frau Müller-Meiningens fassungslosen Blicken. Sie muß mich für hysterisch gehalten haben, und das völlig zu recht. Drei Tage lang sprach ich mit Irene kein Wort, dann brauchte ich dringend ihr Mathe-Heft und kroch zu Kreuze. Meinen Spitznamen hatte ich allerdings weg. In Zukunft hieß ich nur noch ›Helminthe‹. Streng zoologisch betrachtet handelt es sich bei Helminthen um die Gattung der Spulwürmer, aber nach Evchens Ansicht klang die lateinische Bezeichnung besser als ›Würmchen‹ oder gar ›Regenwurm‹.
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    Mit Peter Gassen freundete ich mich sehr schnell an. Allerdings muß ich zugeben, daß ich seinen Vater viel unterhaltsamer fand. Außerdem hatte er mehr Zeit. Peter oblagen sämtliche Pflichten, die gemeinhin dem Familienoberhaupt zustehen. Und die Aufgaben seiner Mutter mußte er teilweise auch noch übernehmen. Frau Gassen war nämlich leidend und verbrachte den größten Teil des Tages angezogen auf dem Bett, wo sie sich quer durch unseren Bücherschrank las und nebenbei je nach Witterung und erreichbarem Arzt entweder ihre Migräne pflegte, den Gelenkrheumatismus oder die Angina. Einen Internisten gab es in unserer Gegend nicht, und deshalb wurde Frau Gassen auch nie von derartigen Krankheiten heimgesucht. Allerdings litt sie an einem empfindlichen Magen, der erstaunliche Unmengen von Bohnenkaffee vertrug, keinesfalls aber die übliche Durchschnittskost wie Trockenkartoffeln oder Maisgrieß. Wovon sie sich überhaupt ernährte, weiß ich nicht. Auf keinen Fall von dem, was die restliche Familie aß. Kochen konnte sie auch nicht. Ihre

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