Pellkartoffeln und Popcorn
des Lichts kein Schimmer auf die Straßen dringen und dem Feind signalisieren konnte, wo er seine Bomben abzuwerfen hatte. Das wußte der aber auch so.
Eine vorschriftsmäßige Verdunkelung bestand aus einer Rolle schwarzem Papier, die irgendwie über dem Fenster befestigt und mit Hilfe von Bindfäden herabgelassen werden konnte. Der untere Rand dieser Rolle lag auf dem Fensterbrett auf und mußte mit einem massiven Gegenstand beschwert werden. Bei uns erfüllten diesen Zweck einige Exemplare von Meyers Konversations-Lexikon. Nun handelte es sich bei diesem Verdunkelungspapier keineswegs um eine erstklassige Qualität, und die dazugehörigen Bindfäden bestanden auch überwiegend aus Papier. Jedenfalls rissen erst die Strippen und wurden immer wieder zusammengeknotet, dann riß das Papier, und irgendwann fiel auch die ganze komplizierte Anlage herunter. Häufig genug erscholl Omas Schrei:
»Reni, komm schnell her!«
Stürzte Mami dann ins Zimmer, stand Omi meist auf der Sofalehne, hielt sich mit einer Hand am Fenstergriff fest und stemmte mit der anderen die schwarze Rolle hoch, die sich aus der Verankerung gelöst hatte und ihr wie ein Leinentuch über dem Kopf hing.
»Mach aber erst mal das Licht aus!«
»Dann kann ich doch nichts sehen.«
»Das weiß ich selber. Mach trotzdem das Licht aus!«
Mami knipste den Schalter aus, schälte Omi aus dem Papier, holte eine Kerze und betrachtete die Überreste, die mal eine Verdunkelung gewesen waren.
»Wie hast du das bloß wieder fertiggekriegt?«
Anfangs wurden kleinere Schäden noch sorgfältiger mit Klebestreifen ausgebessert und von besonders ästhetisch veranlagten Naturen (wie meine Mutter) mit schwarzer Wasserfarbe überpinselt, damit die Reparaturen nicht so auffielen. Früher oder später verzichtete aber jeder auf diese Papierrollen und behalf sich mit alten Decken, die abends auf die vorbereiteten Nägel gespießt wurden.
Wie man die Fenster seitlich abdichtete, blieb der Fantasie jedes einzelnen überlassen. Hatten frühere Besucher vielleicht einmal die duftigen Gardinen oder die aparten Vorhänge bewundert, so erkundigten sie sich jetzt interessiert:
»Wie machen Sie denn Ihre Decke fest? So, so, mit Reißnägeln also. Wo haben Sie die überhaupt noch gekriegt? Wir versuchen es seit ein paar Tagen mit Leukoplast, weil meine Tochter jetzt im Lazarett arbeitet.«
Die Kontrolle über genaue Einhaltung der Verdunkelungsvorschriften hatte der Luftschutzwart, also Frieda. Sie inspizierte denn auch gewissenhaft nach Einbruch der Dunkelheit das ihr anvertraute Revier, und regelmäßig hörte man ihre durchdringliche Stimme:
»Erster Stock links, zweites Fenster!« oder »Parterre unten rechts, mal wieder die Toilette nicht verdunkelt!«
Worauf Omi entsetzt losrannte, um das alte Sofakissen wieder vor das winzige Fenster zu pressen, aus dem es offenbar herausgefallen war.
Gelegentlich kontrollierte Frieda auch mit Herrn Bentin, nach dessen Ansicht die abendlichen Kontrollgänge zu den Aufgaben des Blockwarts gehörten, und er fühlte sich ohnehin nicht ausgelastet. Außerdem war er gründlicher.
»Sehen Sie denn nicht, Fräulein Seifert, daß dort oben noch ein Lichtschimmer ist?«
»Wo?«
»Bei Hülsners im Schlafzimmer.«
»Da ist doch alles dunkel.«
»Also, wenn Sie den breiten Streifen da nicht sehen, sind Sie für diese Aufgabe gänzlich ungeeignet.«
Frieda beäugte noch einmal die Fensterfront. »Was Sie meinen, ist erstens das Wohnzimmer und zweitens ein Thermometer. Das spiegelt sich in der Scheibe.«
»Bei mir ist das, wie im Bauplan vorgesehen, das Schlafzimmer«, sagte Herr Bentin, »und es ist auch kein Thermometer, denn Hülsners haben gar keins.«
Spätestens zu diesem Zeitpunkt platzte Frieda der Kragen. »Wenn Sie jetzt nicht endlich Ihren Sabbel halten, Sie miese kleine Beamtenkreatur, dann werden Sie mich aber mal richtig kennenlernen!«
Herr Bentin schnappte über. »Ich zeige Sie an, Sie… Sie… Sie parteiloses Frauenzimmer!«
Mit diesem Versprechen räumte Herr Bentin das Feld, wohl wissend, daß er letzten Endes den kürzeren ziehen würde. Frieda war ihm rhetorisch weit überlegen.
Ihre Luftschutzübungen hielt sie immer noch ab. Wir konnten jetzt alle schon vorschriftsmäßig Eimerketten bilden, und es war sogar noch Wasser drin, wenn die Eimer den letzten erreicht hatten. Wir konnten Schwelbrände bekämpfen und die Gasmasken auf- und manchmal auch ohne Hilfe wieder absetzen. Wir hatten die Keller mit Sand-,
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