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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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Bomben gefallen, und halb Berlin pilgerte zu den Ruinen, denn schließlich mußte man so etwas ja mal gesehen haben.
    Die Flak hatte sogar zwei feindliche Flugzeuge abgeschossen, und eins davon war in den Grunewald gefallen.
    »Das gucken wir uns aber mal an«, sagte Omi, »wer weiß, ob wir so etwas noch mal zu sehen kriegen.«
    Mami lehnte dankend ab. »Hast du denn vom Krieg noch immer nicht die Nase voll?«
    »Natürlich, aber ich habe ihn ja auch nicht angefangen. Und der Führer wollte ja auch nicht, man hat ihn doch dazu gezwungen …«
    »Ist mir bekannt, ich lese auch Zeitung! Aber der einzige Krieg, der seine Berechtigung hatte, war der Trojanische Krieg. Der wurde um eine Frau geführt, und die Männer wußten, worum sie kämpften.«
    So besichtigte ich mit Omi allein die Absturzstelle in der Hoffnung, ein Souvenir zu ergattern, aber das Flugzeugwrack wurde von Polizei bewacht. Trotzdem fand ich einen Splitter, an dem sich sogar noch etwas drehen ließ, und jahrelang war er das Prunkstück meiner Sammlung.
    Unter uns Kindern war nämlich ein neuer Sport entstanden, das Splittersammeln. Es handelte sich um Überbleibsel von Flakmunition, und nach einem Luftangriff fand man das Zeug überall in den Straßen. Wir bewahrten unsere Schätze in alten Zigarrenkisten auf und betrieben damit einen lebhaften Tauschhandel – wie weiland mit Zigarettenbildchen oder Bleisoldaten.
    »Wenn du mir die Kupferrolle gibst, kriegste von mir die zwei langen Splitter und das silberne Ding hier.«
    »Kannste behalten. Da sitzt ja schon Rost dran. Gib mir lieber den gelben Splitter da.«
    »Du spinnst wohl. Den habe ich ja erst heute früh gefunden.«
    Leider schnappten uns die größeren Kinder die besten Stücke immer sehr schnell weg, und so fing ich an, Frieda zu hofieren. Sie war nämlich die einzige, die regelmäßig auf die flachen Dächer stieg, um nach Blindgängern zu fahnden, und an die dort oben herumliegenden Splitter kam sonst niemand heran. Also führte ich ihren gräßlichen Hund Gassi, verteilte Rundschreiben und ging an ihrer Stelle sammeln, in einer Hand die Blechbüchse, in der anderen die Spendenliste, also jenes Verzeichnis von Leuten, die nicht den Mut haben, nein zu sagen.
    Künftig bekam ich von Frieda Splitter und Altpapier.
    Unser Kellerleben nahm allmählich geregelte Formen an. Wir Kinder wurden gar nicht mehr in den Wohnungen schlafengelegt, sondern bezogen gleich die Luftschutzbetten, und die Erwachsenen versuchten, die Katakomben-Atmosphäre ein bißchen aufzulockern. Angefangen hatte meine Mutter, als sie eines Nachts plötzlich erklärte:
    »Wenn wir schon wie die Ratten im Keller hausen müssen, dann müssen wir ja nicht unbedingt auch wie Ratten leben!« Sprach’s, stellte den wackligen Holzstuhl in die Ecke, holte einen zusammenklappbaren Liegestuhl, polsterte ihn mit Kissen aus und kuschelte sich hinein.
    Frau Zillig erinnerte sich an einen alten Sessel, der in ihrem eigenen Keller stand, und der nun gemeinsam in den Luftschutzraum geschleppt wurde.
    »Da muß auch noch irgendwo eine Lampe sein. Ist ein Hochzeitsgeschenk meiner Großtante und ein Muster an Scheußlichkeit, aber immer noch besser als diese entsetzliche Funzel.« Damit meinte sie die 25-Watt-Birne, die trübselig von der Decke baumelte.
    Frau Jäger beschloß, das alte Kanapee zu opfern, das auf ihrem Balkon stand. »Mein Nickerchen kann ich auch machen, wenn ich die beiden Sessel zusammenschiebe«, meinte sie, »wir müssen ja alle Opfer bringen.«
    Herr Leutze spendierte einen schon reichlich zerfledderten Teppich, und Frau Molden komplettierte das Sammelsurium mit zwei altersschwachen Korbstühlen, an denen wir dauernd hängenblieben, weil überall die Peddigrohr- enden in die Gegend ragten. Die innenarchitektonische Verwandlung des Kellers erreichte ihren vorläufigen Abschluß, als Mami zwei goldgerahmte Ölschinken an die Wand hängte und grimmig sagte:
    »Schöner werden sie dadurch zwar auch nicht, aber diese nackten Wände erinnern mich immer irgendwie an Zuchthausmauern!«
    Frieda beäugte das fertige Werk mißtrauisch, konnte aber nichts dagegen einwenden, denn in den behördlichen Vorschriften waren bedauerlicherweise keine Angaben über die Möblierung von Schutzräumen enthalten. Angeordnet wurde lediglich die Bereitstellung von genügend Sitzplätzen; Einzelheiten über die Beschaffenheit derselben hatte man nicht berücksichtigt.
    Da unsere Keller mit denen des Nebenhauses verbunden waren, entwickelte sich ein

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