Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
Vom Netzwerk:
reger nachbarschaftlicher Verkehr. Früher hatte man sich lediglich gegrüßt und vielleicht mal über das Wetter oder den kläffenden Mops von gegenüber gesprochen, aber man kannte sich nicht näher. Das gemeinsame Kellerleben förderte das Zusammengehörigkeitsgefühl. Wir teilten brüderlich Kräutertee und Marmeladenbrote, lasen uns gegenseitig die Feldpostbriefe der vaterlandverteidigenden Väter vor und sorgten uns gemeinsam um abwesende Hausbewohner, die vom Alarm überrascht worden waren und jetzt vermutlich in einem der öffentlichen Luftschutzräume hockten.
    »Hoffentlich hat’s Frau Molden noch bis zum Zoobunker geschafft, sie wollte doch ins KaDeWe.«
    »Da kommt man aber auch nicht immer rein. Wenn der voll ist, machen sie einfach zu. Dann bleibt nur noch der U-Bahnhof Wittenbergplatz, aber da muß man doch die ganze Tauentzienstraße runterrennen, und das womöglich bei Vollalarm.«
    »Na, vielleicht war sie schon auf dem Heimweg und sitzt jetzt in einem anderen U-Bahnhof fest. Am besten ist ja die Station Heidelberger Platz, die liegt wesentlich tiefer als die anderen.«
    Einmal kam Omi völlig außer Atem beim letzten Sirenenton in den Keller gestürzt, beladen mit Schachteln und Tüten. »Kinder, bin ich froh, daß ich es noch rechtzeitig geschafft habe.« Aufatmend sank sie in einen Korbstuhl. »Reni, nimm mir doch mal die Sachen ab, aber Vorsicht mit der grünen Tüte, da ist etwas Zerbrechliches drin. Habe ich bei Wertheim gekriegt, war gerade eine billige Gelegenheit.«
    »Deine billigen Gelegenheiten kenne ich«, sagte Mami und wickelte ein tonnenförmiges Gefäß aus glasiertem Ton aus dem Papier. »Für deine Gelegenheitskäufe muß man immer erst eine Verwendung finden.«
    Omi betrachtete ihre Neuerwerbung. »Man kann zum Beispiel Schmalz hineintun.«
    »Hast du welches?«
    Herr Jäger, der sonst meistens schweigsam in seiner Ecke saß, gab nun auch seine Erfahrungen mit Sonderangeboten zum besten. »Frauen wollen eine Sache nicht besitzen, weil sie einen Grund dafür haben, sondern sie finden einen Grund, weil sie sie besitzen wollen.«
    Nun kann man aber nicht jeden Abend stundenlang im Keller hocken und vor sich hinschweigen. Andererseits kann man auch nicht offen miteinander reden, denn ›Feind hört mit!‹ Nicht umsonst hingen derartige Plakate an jeder Straßenecke. Und nach Ansicht der Schöpfer dieser Plakate saß der Feind ja mitten unter uns. Man suchte also nach einem unverfänglichen Zeitvertreib.
    Frau Hülsner wies alle Unkundigen in die Kunst des Strickens ein. Ihre diesbezüglichen Kenntnisse waren uns allen geläufig, denn Lothchen trug auch im Keller nur Gestricktes. Damals verfertigte ich übrigens meinen ersten
    Topflappen – ein trapezförmiges Gebilde mit asymmetrischem Lochmuster.
    Frau Bennich erteilte Unterricht im Sticken. Sie muß in den langen Kellerjahren unzählige Tischdecken, Taschentücher und Küchenschürzen mit Knötchenblumen verziert haben.
    Fräulein Ingersen legte Karten und prophezeite allen Anwesenden ausnahmslos ein langes Leben.
    Nur Frau Brüning weigerte sich beharrlich, die Wartezeit bis zur Entwarnung mit einer nützlichen Tätigkeit zu verkürzen. »Wenn ich schon um meinen Schönheitsschlaf komme, dann will ich mich wenigstens ein bißchen unterhalten. Spielt hier jemand Skat?«
    Meine Mutter hatte auch nichts für Handarbeiten übrig, und Herr Jäger vervollständigte das Trio.
    Diese dem Ernst der Stunde doch sehr unangemessene Leichtfertigkeit erbitterte Herrn Bentin. Er erfreute sich ohnehin denkbar großer Unbeliebtheit und hatte es vorgezogen, der Kellergemeinschaft fernzubleiben und in seinem eigenen Gelaß Quartier zu beziehen. Frieda beanstandete zwar diese Eigenmächtigkeit, die in keiner ihrer Vorschriften eingeplant war, aber sie biß auf Granit. Außerdem war Herr Bentin immerhin Blockwart, somit schien es wohl angebracht, ihm gewisse Privilegien zuzugestehen.
    Herr Bentin regte sich über alles und jeden auf. Er meckerte über die Kochplatte, auf der zu mitternächtlicher Stunde heiße Getränke gebraut wurden. Er beschwerte sich über uns Kinder, die wir gelegentlich in den Gängen Roller fuhren, und er bekam einen Tobsuchtsanfall, als Maugi eines Abends das väterliche Grammophon mit in den Keller brachte.
    »Wir haben Krieg, und deshalb verbitte ich mir diese Tingeltangel-Musik. Außerdem werde ich Sie allesamt zur Anzeige bringen, wenn diese Orgien während der Luftangriffe nicht aufhören!«
    Die Orgien fanden immer

Weitere Kostenlose Bücher