Pellkartoffeln und Popcorn
…«
»Na, sehen Sie, dann bekommen Sie Heimarbeit. Da können Sie zu Hause bleiben und sich trotzdem nützlich machen. Und unseren tapferen Soldaten ist auch gedient.«
Dann brüllte er durch die halbgeöffnete Tür ins Nebenzimmer: »Frau Schindler, drei Portionen Wolle!«
Fünf Minuten später waren die beiden Damen wieder entlassen. Frau Brüning beäugte mißtrauisch die dunkelgrüne Wolle, die man ihr zusammen mit der Anweisung ausgehändigt hatte, alle zwei Wochen drei Paar Fingerhandschuhe abzuliefern.
»Was soll ich bloß damit? Haben Sie schon mal Handschuhe gestrickt?« fragte sie hoffnungsvoll.
»Noch nie«, mußte Mami gestehen, um dann hilfsbereit hinzuzufügen: »Aber in der Schule habe ich mal häkeln gelernt.«
»Na, ich weiß nicht, die Dinger sollen doch gestrickt werden.«
Das Problem wurde ziemlich schnell gelöst. Frau Hülsner erklärte sich nur zu gern bereit, die Heimarbeit zu übernehmen, denn ihre eigenen Wollvorräte waren mittlerweile zur Neige gegangen und neue nicht zu beschaffen. Sie sah sich schon zu einem beschäftigungslosen Kellerdasein verurteilt. Darüber hinaus bekam sie als Entgelt übriggebliebene Lebensmittelmarken und gelegentlich ein Tütchen Bohnenkaffee, den Frau Brüning aus irgendwelchen dunklen Kanälen bezog.
Bliebe noch zu erwähnen, daß Herr Bentin heimlich mit den Zähnen knirschte. Und das nicht nur, weil ihn jetzt überhaupt niemand mehr grüßte.
Die Luftangriffe wurden häufiger, die Bombenabwürfe massiver, das Kellerleben verlor seine anfangs noch etwas heitere Note. Von morgens bis abends lief das Radio, denn jetzt hatten wir auch tagsüber häufig Alarm. Wenn die Musikberieselung aussetzte und eine amtliche Stimme verkündete: »Schwacher Verband feindlicher Kampfflugzeuge im Anflug auf Nordwestdeutschland«, dann drehte Omi den Gasherd ab, stellte die Bowlenschüssel – Prunkstück ihrer Kristallsammlung unter den Eßzimmertisch, deckte sie mit einem Sofakissen ab und forderte mich auf, das Fenster in meinem Zimmer zu öffnen.
»Du kannst schon mal den Handkoffer und deine Schulmappe in den Keller bringen, gleich gibt’s Alarm!«
Verlas jene amtliche Stimme kurze Zeit später die Mitteilung: »Der gemeldete schwache Verband feindlicher Kampfflugzeuge befindet sich im Anflug auf den Raum Hannover-Braunschweig«, dann signalisierten die Sirenen Voralarm. Ein paar Minuten später jaulte unweigerlich der nervtötende auf- und abschwellende Dauerton los, und die kofferbeladene Prozession der Hausbewohner setzte sich treppabwärts in Bewegung.
Trotzdem ging das Alltagsleben weiter. Der Schulunterricht begann zwar nach wie vor morgens um acht Uhr, endete aber oft schon in den frühen Vormittagsstunden, weil wir wegen zu erwartender Luftangriffe nach Hause geschickt wurden. Manchmal schafften wir es aber nicht mehr rechtzeitig, wurden vom Alarm unterwegs überrascht und hockten dann bibbernd in einer fremden Katakombe, wo wir uns schrecklich verloren vorkamen. Uns trösteten dann nur die Vorstellungen, wie wir uns an dem bösen Feind rächen wollten, wenn wir ihn erst einmal besiegt haben würden.
»Die müssen dann alle Deutsch lernen, weil die englische und russische Sprache abgeschafft wird«, sagte Christa.
»Ja, und die ganzen dreckigen Arbeiten müssen dann die
Ausländer tun, Kohlenschippen, Straßenfegen und Müllfahren«, freute sich Irene, ohne zu ahnen, welche Weitsicht sie mit dieser Prognose bewies.
Der Erdkunde-Unterricht, im dritten Schuljahr normalerweise auf das Fach Heimatkunde beschränkt, war zu einem wichtigen Bestandteil des Lehrplans geworden, und wir konnten trotz unseres zarten Alters schon recht gut mit dem Atlas umgehen. Außerdem hing in unserem Klassenzimmer eine riesige Landkarte, auf der Fräulein Luhde jeden Morgen den Fähnchenwald umsteckte, der den Frontverlauf kennzeichnete, er reichte schon ziemlich tief nach Rußland hinein. Der weitaus größte Teil dieses riesigen Landes mußte allerdings noch erobert werden, und es wurde selbst uns Dreikäsehochs klar, daß bis zum ständig propagierten Endsieg wohl noch eine Weile vergehen würde.
Ähnliche Rückschlüsse ließen auch die erweiterten Luftschutzmaßnahmen zu. Eines Tages rückte erneut ein Baubataillon an und begann, im gegenüberliegenden Wald Gräben auszuheben.
»Was soll denn das nun wieder bedeuten?« fragte Omi kopfschüttelnd. »Eigentlich kann sich das nur um eine Art Übungsgelände handeln, obwohl mir nicht ganz klar ist, wer das Kriegspielen
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