Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
Vom Netzwerk:
jetzt noch üben muß.« Dann zog sie Erkundigungen ein.
    »Das sollen Splittergräben werden«, erzählte sie wenig später, als wir alle mal wieder im Keller saßen, »und angeblich müssen wir in Zukunft bei Fliegeralarm da rein, weil diese Maulwurfsbauten sicherer sein sollen. Ich kann mir das aber nicht vorstellen. Außerdem kriegen wir dann mit Sicherheit alle Rheuma.«
    Bei diesen Splittergräben handelte es sich um etwa drei Meter tiefe, zickzackförmig angelegte Laufgräben, die nach Fertigstellung mit Teerpappe abgedeckt und mit aufgeworfenem Sand ›getarnt‹ wurden.
    Auf eine Probesitzung verzichtete Frieda zwar; aber sie ordnete an, daß wir uns bei Fliegeralarm nunmehr in diesen Fuchsbau zu begeben hätten. Einhellige Ablehnung.
    »Vielleicht fällt mir keine Mauer auf den Kopf, aber dafür sterbe ich dann an einer Lungenentzündung, und das dauert länger. Mich kriegen Sie jedenfalls nicht in dieses Rattenloch!« erklärte Frau Brüning kategorisch, wickelte sich frierend in ihre Decke und trug ihrem hoffnungsvollen Sproß Maugi auf, »endlich die verdammte Spirale« in dem defekten Heizöfchen zu reparieren.
    Frieda zog ihre Anordnung also wieder zurück, wohl hauptsächlich deshalb, weil sie ja mit gutem Beispiel hätte vorangehen müssen, wozu sie offensichtlich auch keine Lust hatte. So requirierten wir Kinder die Splittergräben, spielten Goldgräber oder Unterseeboot; und bald dachte niemand mehr an die ursprüngliche Bestimmung unserer Riesensandkästen.
    Daran wurden wir erst wieder erinnert, als Frieda eines Nachts in den Keller stürzte und aufgeregt brüllte:
    »Der zweite Splittergraben ist eingestürzt. Da waren Kubalkes von Nummer 166 drin. Alle Mann raus zum Schippen!«
    Die bisher so sichtbar an den Tag gelegte Hilfsbereitschaft bekam die ersten Risse. Niemand zeigte große Begeisterung, noch während des Alarms ins Freie zu gehen und im Sand herumzustochern. Außerdem regnete es.
    Herr Bentin tauchte auf. Stahlhelm auf dem Kopf, als Regenschutz eine karierte Wachstuchdecke umgehängt, und trabte mit geschultertem Spaten ostentativ an unserer Kellertür vorbei – Richtung Treppe. Die übrigen Hausbewohner schlossen sich notgedrungen an.
    »Wie die sieben Zwerge«, flüsterte Frau Brüning meiner Mutter zu.
    »Allerdings hat Frau Kubalke herzlich wenig Ähnlichkeit mit Schneewittchen«, flüsterte Mami zurück.
    Kurz darauf signalisierten die Sirenen Entwarnung, und nun stürmten auch wir Kinder hinaus und beteiligten uns mit Feuereifer an der Schipperei. Leider brach sofort der Stiel meiner Kehrschaufel ab; ich war zur Untätigkeit verdammt und durfte nur zwei Taschenlampen halten.
    Nun muß man berücksichtigen, daß auch sie ein Kriegserzeugnis waren, basierend auf der Tatsache, daß es keine Batterien mehr gab. Ein findiger Kopf hatte dynamobetriebene Taschenlampen konstruiert, die man zum Glimmen brachte, indem man unentwegt eine große Taste auf- und niederdrückte und damit enervierende Wimmertöne erzeugte. Nach drei Minuten tat einem die Hand weh, nach fünf Minuten versiegte die Lichtquelle mangels Antriebskraft. Zwar hatte ich bei Dunkelheit ständig so einen Apparat in der Tasche, aber ich benutzte ihn nur, wenn ich auf der Straße Schritte hörte und einem Zusammenstoß mit Passanten entgehen wollte. Laternen und Bäume geben normalerweise keine akustische Vorwarnung, und so kam ich hin und wieder auch leicht angeschlagen nach Hause.
    »Wo hast du denn die Beule schon wieder her?« fragte Omi und drückte mir das Messer auf die Stirn.
    »Ich bin gegen das blöde Straßenschild gerannt!«
    »Allmählich solltest du aber wirklich wissen, wo die einzelnen Hindernisse stehen.«
    »Weiß ich ja auch, aber da war so ’n dämlicher Hund…«
    »Was ist das für eine Ausdrucksweise? Und von wem sprichst du überhaupt in diesem Ton?« parierte Omi sofort, denn im Gegensatz zu allem anderen kam meine Erziehung trotz Kriegsfolgen noch immer nicht zu kurz.
    »Also, da war wirklich ein Hund, und der…« Ausführlich begründete ich die Herkunft meiner Beule, die trotz der Messerauflage bald in allen Farben schillerte. Und wenn sie endlich abgeschwollen war, hatte ich schon die nächste.
    Heute ist es unvorstellbar, daß man sich in einer Großstadtstraße durch stockdunkle Finsternis vorwärtstastet; aber damals war das durchaus normal. Laternen brannten nicht, aus den verdunkelten Fenstern fiel kein Lichtschimmer, und die paar Autos, die einem noch gelegentlich begegneten, hatten

Weitere Kostenlose Bücher