Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
Vom Netzwerk:
dann statt, wenn ein Hausbewohner Geburtstag hatte und um Mitternacht aus irgendwelchen geheimen Beständen jedem ein Glas Wein oder Kognak spendierte.
    Der Verdacht war also nicht unbegründet, als Frau Brüning und meine Mutter jene amtlichen Briefe erhielten und in Herrn Bentin den eigentlichen Urheber dieser Vorladungen vermuteten. Eine Zweigstelle des Behördenapparats forderte die beiden Damen auf, sich zwecks ›Feststellung des Arbeitseinsatzes im Rahmen der gültigen Arbeitsverpflichtung‹ im Rathaus Zehlendorf-Mitte zu melden.
    Mami begriff das nicht ganz. »Was wollen die eigentlich von mir? Ich arbeite doch schon für Führer und Vaterland.«
    Sie hatte ein paar Monate vor Kriegsausbruch ihre Stellung bei der Commerzbank aufgegeben in der weisen Voraussicht, daß man die Belegschaft der Auslandsabteilung im Falle eines Krieges wohl dezimieren würde. Dafür hatte sie den Posten einer Direktionssekretärin bei der TOBIS-WIEN-FILM angenommen, wo man auch sprachkundige Mitarbeiter brauchte. Später stellte sich heraus, daß sie auf das richtige Pferd gesetzt hatte. Die Filmproduktion galt als kriegswichtig – schließlich konnte man auf diese Weise der Bevölkerung stundenweise eine heile Welt vorgaukeln –, und die Angestellten entgingen ziemlich lange den Zugriffen von Munitionsfabriken und halbmilitärischen Institutionen.
    Die Nachbarn erwarteten nun beinahe täglich, daß meine Mutter ›entdeckt‹ und als Konkurrenz von Marika Rökk und Zarah Leander von der Leinwand lächeln würde. Sie hatte allerdings keine derartigen Ambitionen, seitdem sie einmal für eine erkrankte Komparsin eingesprungen war.
    »Erst haben sie mich auf dem Rücken mit Wäscheklammern gespickt, weil mir das Abendkleid nicht gepaßt hat, und dann sollte ich den Titelhelden in einer fünf Quadratmeter großen Hotelhalle um Feuer für die Zigarette bitten. Das ganze Theater hat drei Stunden gedauert. Mein Bedarf ist gedeckt. Übrigens ist der Rudolf Prack in Wirklichkeit viel älter! Und kleiner!«
    Die beiden Vorgeladenen begaben sich also zur angegebenen Zeit zum Arbeitsamt und fanden sich nach längeren Irrläufen vor dem Schreibtisch eines kahlköpfigen Beamten wieder. Der musterte sie mißbilligend von den nachgezogenen Lippen bis zu den lackierten Fingernägeln – eine deutsche Frau schminkt sich nicht! – und kramte in seinen Aktendeckeln. Schließlich hatte er das Gewünschte gefunden, förderte anschließend eine Brille zutage, wickelte sich die Bügel um die Ohren und schritt zur Tat.
    »Helmberg, Irene«, las er vor. »Wer ist das?«
    »Ich!« erklärte meine Mutter, knallte Kennkarte und Arbeitsbuch auf den Schreibtisch und begehrte Auskunft, weshalb man sie herbeordert und ihre doch offensichtlich so begehrte Arbeitskraft im Dienste der Gemeinschaft eben dieser durch überflüssige Rückfragen entzogen habe.
    Der Bebrillte schien von der in klassischem Beamtendeutsch vorgetragenen Beschwerde sichtlich beeindruckt. Jedenfalls prüfte er nur flüchtig die ihm überreichten Dokumente und meinte entschuldigend:
    »Da muß wohl ein Irrtum vorliegen. Uns wurde gemeldet, daß Sie nicht arbeiten, obwohl Ihre Familienverhältnisse eine Berufstätigkeit zulassen.«
    »Vielleicht kümmern Sie sich besser um Ihre eigenen«, konterte Mami bissig, stopfte ihre Papiere in die Handtasche zurück und verkrümelte sich in den Hintergrund.
    Jetzt kam Frau Brüning an die Reihe.
    »Arbeiten Sie etwa auch schon?«
    »Nein, aber ich habe zwei schulpflichtige Kinder, die betreut werden müssen, und niemanden, der das übernehmen könnte.«
    Der Beamte blätterte in seinen Akten und wurde merklich kühler. »Ihre Jungen sind elf und vierzehn Jahre alt, gehören mithin doch hoffentlich der HJ an und sollten sich in der Freizeit bei ihren Kameraden aufhalten. Dort finden sie genügend Betreuung. Außerdem sehe ich, daß Ihr Mann Schauspieler ist. Dann arbeitet er doch sowieso nur abends, sofern man das überhaupt Arbeit nennen kann. Er kann sich also tagsüber um die Kinder kümmern.«
    »Mein Mann ist zur Frontbetreuung eingesetzt und befindet sich zur Zeit in der Gegend von Smolensk. Das liegt in Rußland«, fugte Frau Brüning freundlich aufklärend hinzu.
    »Hm. Na ja.« Der Kahlköpfige räusperte sich und meinte dann jovial: »Das ändert natürlich die Sachlage, aber Sie werden doch wohl trotzdem Ihr Scherflein zum Allgemeinwohl beisteuern wollen, nicht wahr? Können Sie stricken?«
    »Wie bitte? Nein. Ja, doch, ein bißchen

Weitere Kostenlose Bücher