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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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ihre Scheinwerfer mit schwarzen Wachstuchkappen abgedeckt. Lediglich in der Mitte befand sich ein winziger Schlitz, der gerade so viel Licht auf die Straße fallen ließ, daß die Fahrer nicht von der Bahn abkommen und gegen den nächsten Chausseebaum knallen konnten.
    So stand ich also dort auf dem Sandhaufen und drückte mit zusammengebissenen Zähnen und in immer größeren Abständen auf meine Taschenlampe, als ich eine Stimme fragen hörte:
    »Wen soll’n wa denn hier eijentlich ausbuddeln?«
    Eine andere Stimme, die ich nicht kannte und die vermutlich zu einem Bewohner der anderen Häuser gehörte, gab Auskunft. »Frau Kubalke und ihre Tochter liegen da unten.«
    »Wieso! Ick bin doch hier!« klang es neben mir überrascht. Die vermeintlich Verschüttete rammte entschlossen ihren Spaten in den Sand. »Ehe wa hier alle Totenjräber spielen, woll’n wa doch mal feststellen, ob überhaupt eener in den Jraben da sitzt.«
    Es saß niemand drin. Außerdem wurde nie geklärt, weshalb der doch so sichere Splittergraben eigentlich eingestürzt war, denn in näherem und auch weiterem Umkreis war gar keine Bombe gefallen.
    »Det wird wohl an den ewijen Rejen jelejen haben«, meinte Herr Lehmann, »so ne tagelange Dauerberieselung von oben hält ooch der scheenste Jraben nich aus. Muß wohl so ’ne Art Erdrutsch bewirkt haben.«
    Ab sofort wurde uns Kindern der Aufenthalt an unserem Lieblingsplatz verboten, und bald wuchsen auf den Splittergräben wieder Brennesseln, Löwenzahn und Gänseblümchen.
4
    »Goldap? Das gibt es ja gar nicht!«
    Mami brütete über dem Atlas, und hier wiederum über der Karte von Ostpreußen. Dann griff sie noch einmal nach dem amtlichen Schreiben, das neben ihr auf dem Wohnzimmertisch lag.
    »Hier steht doch aber klar und deutlich: Harteck, Landkreis Goldap. Also kann das Nest eigentlich gar nicht so klein sein.«
    Opa besaß einen größeren Atlas. Er übermittelte Mami telefonisch die genaue Lage dieses unauffindbaren Ortes, und schließlich entdeckte sie auch wirklich das winzige Pünktchen auf der Karte. »Meine Güte, das liegt ja ganz dicht an der russischen Grenze!«
    Omi verstärkte ihre Lesebrille durch eine Lupe und betrachtete mißbilligend Mamis Zeigefinger, der auf dem Atlas festgenagelt schien.
    »Da wohnen doch die Polen! Oder zumindest halbe!«
    »Aber wenigstens fallen dort keine Bomben. Für die Engländer ist es zu weit, und die Russen haben bekanntlich keine Flugzeuge.« (Bei Kriegsende merkten wir aber, daß sie doch welche hatten).
    »Und außerdem ist das viel zu weit weg, da kann man ja nicht mal zu Besuch hinfahren. Kommt gar nicht in Frage. Das Kind geht zu Tante Lotte!«
    Omi klappte energisch den Atlas zu, womit das Thema ihrer Meinung nach beendet war.
    Dieser abschließenden Feststellung waren ereignisreiche Wochen vorausgegangen.
    Seitdem die Luftangriffe immer häufiger und intensiver wurden, hatte man behördlicherseits angeordnet, daß alle schulpflichtigen Großstadtkinder evakuiert werden müßten. Als Abstellmöglichkeit kamen Verwandte in Betracht, die irgendwo auf dem Land lebten und sich in den meisten Fällen nicht gerade begeistert von Jung-Deutschlands Invasion zeigten. Ältere Kinder, die schon der HJ oder dem BDM angehörten und sich dem Gemeinschaftsleben bereits angepaßt hatten, wurden in sogenannte KLV-Lager verschickt. Der vollständige Name lautete Kinderlandverschickung; und diese Lager befanden sich zum großen Teil im ›Protektorat Böhmen und Mähren‹, wie die Tschechoslowakei seit der Annexion offiziell hieß. Grundschüler, denen man noch eine gewisse individuelle Betreuung zugestand, kamen zu Familien, die in ungefährdeten Gebieten lebten und sich freiwillig zur Aufnahme eines Kindes gemeldet hatten.
    Nun wurde bei uns zu Hause tagelang ›diskutiert‹, ob man mich zu Tante Lotte schicken sollte, jener nahrhaften Kusine in Wolfenbüttel. Ich wollte nicht.
    »Die spricht immer so komisch, und dann gibt sie mir dauernd diese Sabberküsse.«
    Tante Lotte redete niedersächsisches Platt, s-tolperte über den s-pitzen S-tein, und meine unangebrachte Heiterkeit wegen dieses Idioms hatte mir schon so manches Mal tadelnde Blicke und gelegentlich eine Ohrfeige eingebracht. Nein, also zu Tante Lotte wollte ich auf gar keinen Fall.
    Unsere ohnehin nicht sehr zahlreiche Verwandtschaft lebte aber zum größten Teil in Berlin, wenn man von einem Großonkel väterlicherseits absah, der irgendwo in Schlesien einen Hof besaß. Den Onkel kannte

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