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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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und die Handtücher faltete sie lediglich zusammen, bevor sie sie in den Schrank legte.
    Omi ging entschieden gründlicher vor. Das Staubwischen dauerten jeden Tag zwei Stunden, freitags drei, weil sie dann die Schnitzereien an ihren Möbeln mit einem ausrangierten Rasierpinsel bearbeitete. Zeitungen wurden exakt zusammengelegt und chronologisch geordnet in einen dafür bestimmten Ständer gestellt. Geschirr wurde fünfmal täglich gespült, und bis zum letzten Topflappen kam jedes Wäschestück aufs Bügelbrett. Montags waren die Türklinken dran, die aus Messing bestanden und immer glänzen mußten, alle vierzehn Tage putzte Omi Fenster (soweit noch Scheiben drin waren), und alle drei Monate fand ein Großreinemachen statt, wobei die gesamte Wohnung in Salmiaklauge ertrank. Anfangs hatte Herr Jäger auf einer Zugehfrau bestanden, fürs ›Grobe‹, die von Omi nicht eine Minute lang aus den Augen gelassen wurde. Eines Tages hatte Frau Kuhn ihr den klatschnassen Scheuerlappen vor die Füße geworfen, die Gummischürze danebengeknallt und kategorisch erklärt: »Machen Se sich Ihren Dreck alleene weg!« Was Omi von nun an auch tat.
    Sie unterwies mich gründlich in der Pflege von Kristall und Damastwäsche – ich besitze heute weder das eine noch das andere –, und womit sie damals ihre Ölgemälde behandelte, habe ich vergessen, weil bei uns nur Aquarelle hängen. Als Omi wieder einmal ihre Silberkästen ausräumte, weil die Samtkissen etwas staubig geworden waren, breitete sie die ganze Herrlichkeit auf dem Eßzimmertisch aus und bemerkte wohlwollend: »Das wirst du einmal alles erben.« Diese Aussicht begeisterte mich keineswegs, denn erstens erschienen mir die Bestecke ausgesprochen altmodisch, und zweitens trug jedes einzelne Stück die Buchstaben M.v.H. Das hieß Margarethe von Haugk und war der Mädchenname von Opis erster Frau.
    »Das macht gar nichts«, wischte Omi meinen Protest beiseite. »Wenn du die Sachen einmal benutzen wirst, sind sie ja schon antik, und außerdem macht sich so ein adeliges Monogramm immer gut.« Natürlich hatte ich auch Omis Schmuckkassette bewundern müssen, dessen Inhalt mir ebenfalls als zukünftiges Erbe präsentiert wurde. Da gab es ein paar Ringe, die mir nicht gefielen; eine Garnitur aus Granatsteinen, die ich scheußlich fand, und ein Brillantkollier, das ich ganz gewiß niemals tragen würde. Nur die Perlenkette fand ich hübsch. Omi legte sie auch regelmäßig beim Besuch ihrer inzwischen stark dezimierten Kränzchenschwestern an, denn wenn die Kette auch nicht dreireihig war und schon gar nicht bis zum Bauchnabel reichte wie die von Frau Humbert, so war sie aber garantiert ›echt‹.
    »Hat der Opi denn überhaupt keine Verwandten?« erkundigte ich mich entsetzt, als mir Omi auch noch die gesamte Wohnungseinrichtung als künftiges Erbteil in Aussicht stellte.
    »Doch da gibt es in Leipzig noch einen Neffen, aber der ist Junggeselle und in einer sehr guten Position. Der braucht keine Möbel mehr. Ich glaube, er ist sogar Professor, jedenfalls spricht er sechs Sprachen.« (Später einmal lernte ich diesen Neffen kennen, einen weltfremden Eigenbrötler, der japanische Bildtafeln sammelte und nur Rohkost aß. Als er mir in meine englische Übersetzung vier Fehler hineinkorrigierte, verlor ich allerdings meinen Respekt vor seiner Gelehrsamkeit).
    Kurz vor Weihnachten kam Mami mit Sack und Pack aus Wien zurück. »Nun ist endgültig Schluß mit der Tingelei, jetzt bleibe ich hier. Lange kann der Krieg ja sowieso nicht mehr dauern.« Offiziell war sie zwar nach wie vor bei ihrer Filmfirma angestellt; aber ihre Abwesenheit würde künftig als Dienstreisen deklariert werden, worunter man sich ja bekanntlich alles mögliche, gelegentlich sogar Dienstliches, vorzustellen hatte. Übrigens war auch Klaus wieder da, und Lothchen wurde in den nächsten Tagen erwartet. Man sah überhaupt wieder viele Kinder in den Straßen, die noch bis vor kurzem den Eindruck erweckt hatten, als wären sie überwiegend den Insassen von Altersheimen vorbehalten. »Die Ratten verlassen das sinkende Schiff«, begrüßte Mami den Heimkehrer, als sie Frau Hülsner samt ihren hochaufgeschossenen Jüngsten in der Ladenstraße traf.
    »Hoffentlich erreichen wir auch das rettende Ufer«, meinte Frau Hülsner, und dann, etwas leiser: »Bei Franke gibt’s schon Kartoffeln ›ohne‹, aber bloß für alte Kunden.« Da wir schon seit Jahr und Tag bei dem Gemüsehändler kauften, bekamen wir auch zehn Pfund

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