Pellkartoffeln und Popcorn
seufzte die Vierte im Bunde, die als einzige berechtigt war, in Berlin zu bleiben. Allmählich leerte sich der Bahnsteig, und mir wurde langsam mulmig. Wenn wir noch lange hier stehenblieben, mußten wir unweigerlich auffallen.
»Da kommen sie ja!« Meine Reisegefährtin wies auf zwei Gestalten, die sich im Laufschritt näherten. Eine dritte folgte etwas langsamer. »Wir haben eenen Jepäckträger jefunden, hoffentlich habt ihr jenuch Jeld. Ick hab bloß noch zwee Mark fuffzig, und für die Elektrische brauche ick ooch noch wat.«
Doch, Geld hatten wir, jedenfalls würde es reichen. Der angeheuerte Dienstmann musterte uns etwas zweifelnd, stapelte dann aber doch die Koffer auf seine Karre und setzte sich mürrisch vor sich hinbrummend in Bewegung. Wir hatten schon fast die Sperre erreicht, als uns unsere Betreuerin aufgeregt winkend entgegenkam. »Wo wollt ihr denn hin?«
»Erst mal vom Bahnsteig runter«, erklärte Harald, »an der Sperre wollten wir warten!«
»Ihr seid ja wirklich schon sehr selbständig«, lobte die Schwester und nickte uns aufmunternd zu, »aber nun geht ihr am besten in den Wartesaal zwoter, dort hole ich euch sobald wie möglich ab.«
Der Rest war ein Kinderspiel. Unser Dienstmann, nunmehr von der Integrität seiner Auftraggeber überzeugt, karrte seine Ladung bereitwillig zur Gepäckaufbewahrung, zeigte uns noch den Weg zum Wartesaal, kassierte seinen Obolus und verschwand.
»Jetzt aber nischt wie weg!« kommandierte Harald. »Macht’s jut, Leute, und haltet die Ohren steif!«
»Findest du denn allein nach Hause?« fragte Annette besorgt.
»Na, hör mal, schließlich bin ich hier geboren!« beteuerte ich selbstbewußt und steuerte den U-Bahnhof an. »In einer halben Stunde bin ich in Onkel-Toms-Hütte.« Es dauerte allerdings doch etwas länger, weil ich so lange vor der einzigen noch intakten Telefonzelle warten mußte. Bei uns meldete sich niemand. Omis Nummer mußte ich erst nachschlagen. »Ich wollte nur mal anfragen, ob ich zum Kaffeetrinken kommen kann?«
»Kind!!! Wo bist du?«
»Am Bahnhof Zoo, und wenn der Fahrplan noch stimmt, in genau zweiunddreißig Minuten zu Hause!«
15
Wenn es in den nächsten Tagen an der Wohnungstür klingelte, versteckte ich mich sofort. Ich war fest überzeugt, die Polizei, die Gestapo oder wenigstens das Schulamt hätten Bedienstete in Marsch gesetzt, um mich, die ich ja ganz offensichtlich desertiert war, wieder einzufangen. Dabei kümmerte sich in Wirklichkeit kein Mensch um meine programmwidrige Heimkehr. Omi hatte mich ordnungsgemäß angemeldet, man hatte ihr ordnungsgemäß die Lebensmittelmarken für mich ausgehändigt und somit verfügte ich über eine ordnungsgemäße Daseinsberechtigung. Die Bürokratie schien irgendwo ins Wanken geraten zu sein, sicherstes Zeichen für den bevorstehenden Zusammenbruch.
Offiziell war davon natürlich keine Rede. Radio und Zeitungen berichteten abwechselnd, aber in schönster Einmütigkeit von heldenhaften Abwehrkämpfen, von Wunderwaffen und der ›ganz großen Wende‹, an die bei uns nur noch Omi glaubte. Sie hielt ihrem Führer noch eisern die Treue, auch wenn der sich inzwischen im bombensicheren Bunker der Reichskanzlei verkrochen hatte, während wir in unseren Streichholzschachtel-Kellern saßen und darauf warteten, daß uns doch mal was auf den Kopf fallen würde.
Saßen wir nicht im Keller, hockte ich zu Hause herum, langweilte mich und lernte ›Haushalt‹. Das war gar nicht so ganz einfach, denn ich hatte zwei Lehrmeister mit völlig widersprüchlichen Ansichten über Haushaltsführung und Wäschepflege. Die Methoden von Tante Else waren mir aber lieber. Sie wischte nur jeden dritten Tag Staub, türmte Zeitungen, Rätselhefte und Schnittmusterbögen übereinander, deponierte den ganzen Stapel auf irgendeinem Stuhl, und wenn sie noch die Krümel von der Tischdecke gefegt hatte, erklärte sie das Zimmer für aufgeräumt. Das Geschirrspülen schob sie so lange hinaus, bis wir unsere Mohrrüben mit Kuchengabeln essen und den Kaffee-Ersatz aus Gläsern trinken mußten. Dann stellte sie sich notgedrungen eine Stunde lang ans Spülbecken, und während sie seufzend die Teeränder aus den Tassen scheuerte, sang sie Loblieder auf unsere germanischen Vorfahren, die bestenfalls nur ein halbes Dutzend Küchengeräte besessen und trotzdem existiert hatten. Das Bügeln beschränkte Tante Else auf Blusen und Kleider, Unterwäsche würde sich nach ihrer Meinung auf dem Körper von alleine glattziehen;
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