Pellkartoffeln und Popcorn
weiter tiefste Finsternis herrschte. Dort begann dann schon der andere Bezirk.
Nun soll Kerzenschimmer ja sehr romantisch sein und speziell dem weiblichen Geschlecht ungemein schmeicheln. Zur Zeit Ludwig XIV. mag das auch zugetroffen haben, denn dieser ohnehin nicht gerade als sparsam bekannte Herrscher pflegte wahrhaft astronomische Summen in Wachskerzen zu investieren. Die Romantik geht allerdings flöten, wenn man sich mit einem einzigen Kerzenstummel begnügen muß, der noch nicht mal aus Wachs besteht, sondern aus einer ekelhaft stinkenden Abart von Stearin. Trotzdem waren wir froh, wenn wir überhaupt noch solche Stummel zum Anzünden hatten, denn zu kaufen gab es diese Kerzen lediglich hintenrum. Angezündet wurden sie deshalb nur, wenn es sich wirklich nicht umgehen ließ, und dann kamen sie auch nicht etwa in einen Kerzenständer – dabei hätte Omi jetzt endlich mal wieder ihre kristallenen Leuchter verwenden können –, nein, sie wurden ganz profan auf eine Untertasse geklebt, damit man das heruntergelaufene Wachs auffangen konnte. Die Reste kamen nämlich in die sogenannten Hindenburglichter. Warum die so hießen, weiß ich nicht, denn ich nehme doch an, daß der Herr Feldmarschall seinerzeit über etwas weniger kümmerliche Lichtquellen verfügte. Hindenburglichter bestanden aus einem Blechgefäß von der Größe eines Marmeladenglasdeckels, in dessen Mitte eine Art Docht befestigt war. In diesen Deckel kamen nun alle Wachs- und Stearinreste. Notfalls konnte man auch andere brennbare Materialien verwenden (Tante Else hat es mal erfolgreich mit Lebertran versucht); wurden diese Funzeln jedoch angezündet, roch es in der Wohnung so ähnlich wie in einer Müllverbrennungsanlage. Als ich auch noch ein volles Hindenburglicht umgestoßen und seinen flüssigen Inhalt quer über die Tischdecke gekippt hatte, standen diese Dinger fortan bei uns in Suppentellern.
Nun kann man bei einer so kümmerlichen Beleuchtung notfalls seine Pellkartoffeln essen und vielleicht auch noch Schuhe putzen, aber sehr viel mehr ist kaum möglich. Lesen durfte ich nicht, weil ich mir nicht die Augen verderben sollte. Handarbeiten, für die ich ohnehin nichts übrig hatte, kamen aus demselben Grund nicht in Frage, und sämtliche familieninternen Anekdötchen und Kriegserlebnisse anno 1914-18 waren bis zum Überdruß durchgekaut worden. Gelegentlich setzte sich Onkel Paul ans Klavier, aber weil er außer dem ›Gebet einer Jungfrau‹ und dem ›Radetzkymarsch‹ nichts ohne Noten spielen konnte, waren diese musikalischen Einlagen immer nur sehr kurz.
Wenn uns überhaupt nichts mehr einfiel, spielten wir Karten. Dazu brauchte man zwar eine Kerze, aber da sich alle Familienmitglieder an der Kartenrunde beteiligten, war diese Verschwendung gerechtfertigt. Skat kam nicht in Frage, dazu braucht man nur drei Mitspieler und wir waren sechs. Also einigten wir uns auf Romme. Mir wurden im Schnellkurs die Regeln beigebracht, und sobald es so dunkel geworden war, daß man die Treppenstufen nur noch ertasten konnte, zogen wir einen Stock höher zu Omi und Opi. Da gab es einen ausreichend großen Tisch. Das Hindenburglicht qualmte und stank, und wenn es mal allzusehr flackerte, verwechselten wir gelegentlich auch Pik mit Herz; aber wir spielen unverdrossen und amüsierten uns sogar mitunter köstlich.
Sobald allerdings der Strom wieder eingeschaltet wurde, flogen die Karten auf den Tisch. Die kümmerlichen zwei oder drei elektrizitätsgeladenen Stunden mußten bis zur letzten Minute genutzt werden.
Nun war es aber keineswegs so, daß man uneingeschränkt Strom verbrauchen konnte. Trotz der generellen Stromsperren war der Pro-Kopf-Verbrauch streng rationiert, und wehe dem, der sein Kontingent überschritt. Ihm wurde die Stromzufuhr für mehrere Wochen total abgeschaltet. Ich weiß nicht mehr, wie viele Kilowattstunden uns monatlich zustanden; aber ich erinnere mich noch genau an den kleinen Block und den angeknabberten Bleistift, die neben dem Zähler an der Wand hingen. Der Tagesverbrauch wurde genau notiert, wenn’s mal mehr war, mußte am nächsten Tag gespart werden.
Das gleiche Verfahren galt für die Gasuhr. Hier gab es zwar keine Sperrungen, aber die Rationierung wurde noch strenger gehandhabt, weil wir ja mit Gas kochten. Das Kontingent reichte nie, wir lebten ewig auf Vorschuß, und ein paarmal wurde uns auch prompt der Gashahn abgedreht.
Onkel Paul bastelte eine Kochkiste. Dazu nahm er die kleine Schleiflacktruhe, in die wir
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