Pellkartoffeln und Popcorn
Zigarette im Mund, die sie auch beim Sprechen nicht herausnahm. Sie musterte mich unfreundlich und ließ mich im Flur warten, während sie hinter verschlossener Tür mit Mami die notwendigen Verhandlungen führte.
»Rot und Gelb hätte ich gleich mitnehmen können, Grün kann ich erst übermorgen kriegen«, vertröstete Mami Tante Else, »aber ich habe ein Pfund Zucker und ein Pfund Waschpulver mitgebracht. Hat mich übrigens drei Päckchen Lucky Strike gekostet!« Damit baute sie die beiden dunkelblauen Tüten auf dem Küchentisch auf.
»Dann werde ich gleich einen Kessel Wäsche aufsetzen«, freute sich Tante Else, »wir haben sowieso kaum noch ein sauberes Handtuch im Schrank.«
Wer heute seine schmutzige Wäsche in die Maschine stopft, den Programmschalter dreht und alles andere der Technik überläßt, hat kaum noch eine Vorstellung davon, was das Wort ›Waschtag‹ damals bedeutete. Der liebliche Geruch von heißer Waschlauge zog durch das ganze Haus, die Küche schwamm, das Bad ebenfalls, dauernd floß Spülwasser (kalt!) in die Badewanne rein und wieder raus, Laken und Bettbezüge konnte man nur zu zweit auswringen und selbst dann tropften sie noch… Und hatte man die ganze Prozedur hinter sich und die Wäsche auf der Leine, dann war sie nicht mal sauber. Woraus das Waschpulver bestand, mochte der Himmel wissen, aus Seife wohl kaum.
Frau Wildenhof hatte Mami aber unter heiligen Eiden versichert, bei dem von ihr gelieferten Produkt handelte es sich garantiert um ein Markenwaschmittel amerikanischer Herkunft, und so kippte Tante Else erwartungsvoll den Inhalt der einen blauen Tüte in den Kessel. Ein Aufschrei, aber es war schon zu spät! Sie hatte die falsche Tüte erwischt, und dann schwamm die Wäsche in Zuckerwasser. »Hundertzwanzig Mark im Eimer«, jammerte sie, »und auch noch völlig umsonst! Wenn das Zeug davon wenigstens sauber werden würde …«
Später ging ich auch allein zu Frau Wildenhof, jedesmal mit einem Zettel bewaffnet, auf dem Mami ihre Wünsche notiert hatte. Den reichte ich dann verstohlen weiter und bekam ebenso verstohlen Preis und Liefertermin zugeflüstert. Abgeholt habe ich die Sachen allerdings nie. Mami hatte immer Angst, ich würde bei einer derartigen Gelegenheit doch mal in eine Razzia kommen und mitgenommen werden. Schließlich gab es genügend Kinder, die im Schwarzhandel rege mitmischten, und es trotz ihres zarten Alters zu beachtlichen Erfolgen brachten.
Mami hat übrigens des öfteren eine Nacht im Gefängnis verbracht, umgeben von schluchzenden Hausfrauen, die silberne Kuchengabeln oder fünf Meter Gardinenstoff verkaufen wollten, und von der Polizei aufgegriffen worden waren. Dazwischen ein paar Damen vom horizontalen Gewerbe und gelegentlich ein kleiner Taschendieb. Die Schwarzmarktkönige wurden sowieso nie erwischt.
Als Mami zum erstenmal nach einem zwölfstündigen Aufenthalt hinter schwedischen Gardinen wieder nach Hause kam, wurde Omi hysterisch. »Nein, diese Schande! Meine Tochter im Gefängnis! Ich kann mich ja nicht mehr auf der Straße sehen lassen!«
Ein paar Tage später erzählte Frau Brüning ganz ungeniert, daß man sie am Alexanderplatz aufgegriffen und in einer Grünen Minna abtransportiert hätte, Frau Hülsner sei übrigens auch dabeigewesen, und schließlich erwischte es sogar Onkel Paul, der nur mal aus Interesse über den schwarzen Markt geschlendert war und keinerlei Kaufabsichten gehabt hatte.
»Wer in dieser Zeit nicht wenigstens einmal gesessen hat, der hat keine reine Weste«, pflegte Mami zu verkünden, »bekanntlich fängt man doch immer bloß die Kleinen. Und die Großen läßt man laufen.«
Glücklicherweise ist sie nie geschnappt worden, wenn sie mit einem Stapel Bettwäsche oder einem Dutzend Damastservietten unterwegs war; sie lief immer erst dann einer Streife in die Arme, wenn sie schon den baren Gegenwert in der Hand hatte, und die Herkunft des Geldes ließ sich ja nicht nachweisen. Ein begüterter Onkel, eine finanzkräftige Kusine… für entsprechende Nachforschungen hatte die Polizei damals nun wirklich keine Zeit. Mami wurde also nur ›erkennungsdienstlich behandelt‹ und dann regelmäßig nach Hause geschickt. In dubio pro reo!
Meine Aussteuer war also das erste, was verkauft und aufgegessen wurde. Omi trennte sich nur nach langen inneren Kämpfen von der seidenbändchenumwickelten Pracht, denn eigentlich gehörten doch mir die ganzen Sachen. Mamis Argument, wenn ich erst mal verhungert sei, hätte ich sowieso
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