Pellkartoffeln und Popcorn
auf dem Schulhof durcheinander, und es ließ sich beim besten Willen nicht feststellen, wer nun zur Gertraudenschule gehörte und wer zum Luisen-Stift. Ich hatte doch zumindest erwartet, daß ein Teil der Mädchen in knöchellangen Gewändern und mit weißen Häubchen auf dem Kopf einherschritt.
Bei der Anmeldung war ich der 2. Klasse zugeteilt worden. Heute würde das der 6. Klasse entsprechen, aber wir begannen seinerzeit unser Gymnasialleben wieder mit Klasse eins. Bereits im nächsten Frühjahr kam ich in die 3. Klasse. Dafür dauerte dieses Schuljahr dann fünfzehn Monate, weil die zuständigen Ämter sich nun endlich entschlossen hatten, die Schulordnung den westdeutschen Gepflogenheiten anzupassen. Und dort fanden die Versetzungen zu Beginn der Sommerferien statt.
Die Auswahl wurde zunächst einmal ziemlich willkürlich getroffen, denn häufig waren in den letzten Kriegstagen Zeugnisse und andere Unterlagen verlorengegangen; und die armen Schulsekretärinnen mußten sich auf die Angaben der Schülerinnen verlassen, die ihren Wissensstand mitunter recht optimistisch beurteilten. So blieben in den folgenden Wochen großangelegte Verschiebungen nicht aus, und so manche Sekundanerin landete wieder in der Tertia. Ich hatte allerdings schriftlich belegen können, daß ich schon in Goldap ein knappen halbes Oberschuljahr hinter mich gebracht und später in der Tschechoslowakei ebenfalls regulären Unterricht gehabt hatte. So wanderte ich beim Läuten der Schulglocke suchend durch die Gänge, bis ich an einer giftgrün lackierten Tür das Pappschild ›Klasse 2‹ entdeckte.
Es waren etwa siebzig Mädchen, die sich in dem kleinen Klassenraum zusammendrängten, und so wurden wir zunächst einmal geteilt. Da wir uns nach Gutdünken aufteilen durften, blieben wir ›Ostpreußen‹ natürlich zusammen und verkörperten später die Zehlendorfer Clique. Es gab nämlich noch eine Steglitzer, eine Lichterfelder und eine Dahlemer Gruppe, je nachdem, in welchem Stadtteil man beheimatet war, obwohl sie alle eigentlich nahtlos ineinander übergingen.
Wir wurden die Klasse 2a, marschierten weisungsgemäß drei Türen weiter und betraten einen Raum, der sich von dem anderen nur dadurch unterschied, daß das Ofenrohr aus dem Fenster ragte. Selbiges hatte keine Scheibe und war mit etwas Braunem vernagelt; ein sattsam bekannter Anblick.
Als erstes erfuhren wir von unserer Lehrerin, die sich als Frau Griesinger vorstellte, daß wir bis auf weiteres Schichtunterricht haben würden. Letzten Endes erhoben die rechtmäßigen Insassen des Luisen-Stiftes ebenfalls Anspruch auf ihre Schule. Schichtunterricht bedeutete, daß man eine Woche lang morgens zur Schule pilgerte, während in der darauffolgenden der Unterricht um 14 Uhr begann. Die Nachmittagsschicht war bei Lehrern und Schülern gleichermaßen unbeliebt, allerdings aus verschiedenen Gründen. Die Schüler sahen sich in ihrer Freizeitgestaltung beeinträchtigt (vormittags war jedes Kino geschlossen und auch sonst nichts los, man wurde höchstens von den Eltern zum Schlangestehen abkommandiert), und die Lehrer stellten sehr schnell fest, daß sich bei ihren Schutzbefohlenen spätestens ab 16 Uhr lähmende Müdigkeit einstellte. Spätestens ab 17 Uhr mußte der Unterricht aufs Mündliche beschränkt werden, weil es dunkel wurde. Strom gab es um diese Tageszeit sehr selten, da er meist erst gegen 20 Uhr wieder eingeschaltet wurde; das Mitbringen von Hindenburglichtern war als feuergefährlich untersagt worden. Und so redeten die bedauernswerten Lehrkräfte im wahrsten Sinne des Wortes ins Dunkle.
Dann kam der Winter, und damit brach der Schulunterricht erst einmal wieder zusammen. Heizmaterial gab er offiziell überhaupt nicht, und wenn doch, dann konnte man seine Brikettration bequem in einer mittelgroßen Einkaufstasche nach Hause tragen. Anfangs wurden wir angehalten, täglich ein Brikett mit in die Schule zu bringen – Holz war auch genehm –, aber unsere Mütter weigerten sich begreiflicherweise, ihre kostbaren Schätze herauszurücken. Letzten Endes war es so lange ohne Bildung gegangen, da würden ein paar weitere Monate ohne Schulunterricht auch nicht gleich den geistigen Zusammenbruch der deutschen Jugend zur Folge haben.
Also wanderten wir ein paar Wochen lang bibbernd zur Schule, setzten uns bibbernd in die Klassenzimmer, wo die ebenfalls bibbernden Lehrer unsere Hausaufgaben einsammelten, uns in Kurzfassung ein paar Weisheiten einbleuten; und wenn wir dann mit neuen
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