Pendelverkehr: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
vorgefallen,
und half mir gemeinsam mit meinen anderen neuen Freunden, zunächst den
verfallenen Hof meines Vaters einigermaßen winterfest zu machen. Mit dem
Berliner Kontinentalklima vertraut, sah ich dem Winter auf der Schneifel
gelassen entgegen. Doch eine Außentemperatur von fünfzehn Grad minus in einem
unisolierten, der rauen Natur von allen Seiten ausgesetzten Bruchsteinhaus auf
einer windigen Anhöhe ließ mich bald eine neue Relativitätstheorie entwickeln.
Ich überwinterte also in mehreren unkleidsamen Pulloverlagen. Im Frühling
änderte Hein meinen Spitznamen Michelinweibchen in Sklaventreiberin um, weil
ich darauf drängte, das Restaurant zur Sommersaison zu eröffnen. Aber da hatte
ich meine Rechnung ohne die geradezu mediterran anmutende Gleichmut der Eifeler
gemacht – der Freunde/Teilhaber und Handwerker. Stets schien die helfende Hand
andernorts dringender gebraucht zu werden. Die Eröffnung der Einkehr verschob sich also um ein halbes Jahr.
Gudruns Bemerkung, ich solle mir das nicht so zu Herzen holen , bestätigte meinen Verdacht, dass man in der Eifel
nur das holen kann, was bereits vor Ort ist, in dieser dünn besiedelten Gegend
also eher selten einen Handwerker. Da dem hiesigen Dialekt das Wort nehmen in jeglichen Zusammensetzungen fremd ist und ich
dazugehören wollte, holte ich mir also vor, diese Eifeler Einstellung zu überholen,
um als Einheimische in die Gemeinschaft aufgeholt zu werden.
Das scheint mir gelungen zu sein. Denn die Igelfrau, die ich gestern
in Krewinkel kennenlernte, betrachtete mich ohne Arg und Misstrauen. Sie
offerierte mir interessante Kräuter aus eigenem Anbau für das Restaurant.
Eigentlich heißt sie Cora, aber ihr graues Stoppelhaar, die verschmitzten Augen
und die Himmelfahrtsnase mit dem winzigen schwarzen Punkt darauf lassen nun mal
Gedanken an einen Igel aufkommen. Cora konnte mir zwar nicht das Gebäude
zeigen, wo Marcel vor seiner Polizistenkarriere eine Kneipe geführt hatte, aber
sie stellte mir den Oberguru ihrer ökologisch ausgerichteten Wohngemeinschaft
vor, den langbärtigen Zopfträger Viktor. Ein bedächtiger Mann, der weise
asiatische Sprüche klopfte und meinem Restaurant eine interessante Zukunft
auspendelte. Ich zuckte kurz zusammen: Chinesen wünschen ihren Feinden eine
interessante Zukunft. Aber wem im Gaststättengewerbe überhaupt eine Zukunft in
Aussicht gestellt wird, der sollte nicht klagen; also packen wir’s an!
Erstes Gericht
Verlorene Wachteleier
in Honigsenfschaum auf Rucolakresse, von Hackklößchen begleitet
Was sich da gerade am helllichten Tag vor meinem künftigen
Restaurant aus einem Sportwagen mit offenem Verdeck windet, kann nur ein Geist
sein. Gespenster erscheinen zwar normalerweise nachts und entsteigen dann eher
wabernden Nebelbänken als Autos mit Berliner Kennzeichen. Erst gestern hat mir
Schamane Viktor aus dem belgischen Krewinkel noch versichert, auf dem alten,
oftmals eingenebelten Hexenhügel Kehr müsse man jederzeit auf das Erscheinen
von Boten aus einem Jenseits gefasst sein. Schon der Name des Örtchens weise
schließlich darauf hin: Kehr!, hätten die Hexen des
alten Weges einander raunend aufgefordert, wenn ein unliebsamer Schemen ihre
Kreise störte.
Ob allerdings dieser aktuellen Erscheinung aus meiner Vergangenheit
mit dem Kehrbesen beizukommen ist, wage ich angesichts der deutlich erkennbaren
Körpermasse innerhalb der Konturen zu bezweifeln. Was zum Teufel sucht mein
abgelegter Berliner Lover Hans-Peter auf der Kehr? Hoffentlich nicht mich; jene
Katja, die er vierzehn Jahre lang am ausgestreckten Arm hatte verhungern
lassen, rein seelisch, versteht sich angesichts meines Umfangs – diese Katja
gibt es nicht mehr.
Er greift in den Wagen und hebt einen Säugling heraus. Ich
versteinere. Mit dem Kind habe ich nichts zu schaffen, kommt mir jener Gedanke,
der wohl in manchem Mann aufsteigt, dem eine frühere Geliebte ein Baby
präsentiert. Eine aufwallende Hitzewelle erinnert mich daran, dass ich eine
Frau und zudem nicht mehr gebärfähig bin. Das Kind in den Armen balancierend,
schaut Hans-Peter unsicher zu der offen stehenden Tür, neben der das halb
fertig gemalte Restaurantschild an der verklinkerten Hauswand lehnt. Dann fällt
sein Blick auf mein ihm vertrautes altes Auto, das jetzt allerdings ein
belgisches Kennzeichen trägt. Rote Zahlen.
»Der Mann sieht gut aus«, seufzt Gudrun, die sich neben mich ans
Fenster gestellt hat, »ist aber offensichtlich vergeben. Auch wenn er nicht
weiß,
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