Pendergast 01 - Relic - Museum der Angst
hier spricht deine Mutter.« Dann ertönte ein Klicken. Margo schloß einen Augenblick lang fest die Augen und atmete tief durch. Sie würde Jan nicht zurückrufen, zumindest jetzt nicht. Und auch bei ihrer Mutter würde sie frühestens morgen vormittag anrufen. Sie wußte schon, was sie da wieder zu hören bekommen würde:
Du mußt nach Hause kommen und dich um das Geschäft deines Vaters kümmern. Er hätte es so gewollt. Das schuldest du uns beiden.
Margo wandte sich von dem Anrufbeantworter ab, setzte sich im Schneidersitz vor die Schreibmaschine und starrte auf die Katalogdaten, Notizen und Listen, die Moriarty ihr gegeben hatte. Übermorgen mußte es fertig sein, hatte er gesagt, und das nächste Kapitel ihrer Dissertation war am Montag darauf fällig.
Sie blickte noch ein paar Minuten auf die Papiere und sammelte ihre Gedanken. Dann begann sie zu tippen. Ein paar Augenblicke später hörte sie wieder auf und starrte hinaus in den Nachthimmel. Er war kein schlechter Vater gewesen, das konnte sie nun wirklich nicht behaupten. Margo erinnerte sich daran, wie er am Sonntag immer Omeletts gemacht hatte – das einzige, was er kochen konnte. »Hey, Midge«, hatte er ihr dann immer zugerufen. »Nicht schlecht für einen alten Exjunggesellen, nicht wahr?«
Draußen gingen langsam die Lichter aus, als ein Geschäft nach dem anderen schloß. Margo blickte auf die graffitibesprühten Hauswände und die mit Brettern vernagelten Fenster. Vielleicht hatte ihr Vater recht gehabt: Arm zu sein war nicht gerade das Gelbe vom Ei.
Armut. Margo schüttelte den Kopf und erinnerte sich an den Gesichtsausdruck ihrer Mutter, von der sie dieses Wort zuletzt gehört hatte. Die beiden waren im kühlen, dunklen Büro des Testamentsvollstreckers ihres Vaters gesessen und hatten sich erklären lassen, warum die Schuldensituation ihres Vaters und die nicht vorhandenen Reserven einen Konkurs der Firma unvermeidlich erscheinen ließen – außer, natürlich, ein Familienmitglied würde einspringen und das Geschäft weiterführen.
Margo dachte an die Eltern der beiden toten Jungen. Auch sie mußten hohe Erwartungen in ihre Kinder gesetzt haben, überlegte sie. Jetzt würden sie nie die Enttäuschung über ihre Sprößlinge kennenlernen. Oder stolz auf sie sein. Und dann wanderten Margos Gedanken zu Prine. Und zu dem Blut an seinen Schuhen.
Sie stand auf und machte noch mehr Lichter an. Es war Zeit zum Abendessen. Morgen würde sie sich in ihr Büro verkriechen und das Kapitel fertigschreiben. Und an der Kamerun-Geschichte für Moriarty arbeiten. Und sie würde ihre Entscheidung wieder einmal hinausschieben. Wenigstens für einen weiteren Tag. Wenn sie sich nächste Woche mit Frock traf, das hatte sie sich geschworen, würde sie einen Entschluß gefaßt haben.
Das Telefon klingelte, und automatisch hob sie ab.
»Hallo«, meldete sie sich und hörte einen Augenblick zu. »O Mutter, du bist es. Wie geht es dir?«
12
D ie Nacht brach früh über das Naturhistorische Museum herein. Kurz vor fünf Uhr ging die Frühlingssonne bereits wieder unter. Im Museum wurden die Besucher langsam weniger. Touristen, Schulkinder und genervte Eltern strömten an den Bronzelöwen vorbei die Marmortreppe zu den Ausgängen hinunter. Bald würden die Echos, Rufe und das Geklapper von Schritten in den hohen Gewölbehallen völlig verklungen sein. Einer nach dem anderen wurden die Schaukästen dunkel, und Stunden später warfen nur noch wenige Lichter verrückte Schatten über die marmornen Fußböden.
Ein einsamer Wärter, der seine Runden durch die Hallen drehte, schwenkte einen dicken Schlüsselbund und summte eine Melodie vor sich hin. Es war der Anfang seiner Schicht, und er trug die normale Museumsuniform aus blauem und schwarzem Tuch. Für ihn war das Museum längst nichts Neues mehr.
Diese Klitsche wird mir langsam unheimlich,
dachte er.
Sieh dir bloß mal diese Maske da drüben an. Verdammter Eingeborenenquatsch. Wer, um alles in der Welt, wird auch nur einen müden Dollar bezahlen, um sich diesen Mist ansehen zu dürfen? Die Hälfte von dem Zeug trägt wahrscheinlich sowieso irgendeinen Fluch.
Die Maske schien ihn aus dem dunklen Schaukasten hämisch anzugrinsen. Rasch ging er zum nächsten Kontrollpunkt weiter, wo er einen Schlüssel in ein Kästchen steckte und umdrehte. Das Kästchen hielt die Zeit fest. Es war genau 22 Uhr 23 . Als er in die nächste Halle weiterging, hatte er den beunruhigenden Eindruck – den er auf seinen Runden
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