Pendergast 03 - Formula - Tunnel des Grauens
blieb vor den Füßen des Captains liegen. Custer starrte verdutzt auf den Hut. Selbst in Agatha Christies Kriminalromanen hätte das Timing für einen Zufallstreffer nicht perfekter sein können. Nur, im Alltag des Polizeidienstes kamen solche Zufälle nie vor.
Er drehte sich mit gerunzelter Stirn zu Brisbane um.
Brisbanes Mienenspiel wechselte von Bestürzung über Verwirrung zu Verärgerung. »Den habe ich für ein Kostümfest im Museum benutzt. Sie können das gern überprüfen, alle haben mich damit gesehen. Ich besitze ihn schon seit Jahren.« Custer steckte den Kopf in den Wandschrank, kramte eine Weile herum, und förderte schließlich einen straff aufgerollten Regenschirm zu Tage. Er stellte ihn mit der Spitze auf den Boden, um ihm dann, ähnlich wie bei einem Kreisel, einen leichten Drall zu geben und ihn trudeln zu lassen, bis er neben dem Bowler umfiel. Erst dann hob er den Blick und fixierte Brisbane mit fragender Miene. Man hätte sich einreden können, die Sekunden dahintröpfeln zu hören.
»Das ist absurd!«, explodierte Brisbane.
Custer zuckte die Achseln. »Ich habe nichts gesagt. Noyes, haben Sie etwas gesagt?«
»Nein, Sir, kein Wort.«
»Mr. Brisbane, was ist dann Ihrer Meinung nach absurd?«
»Das, was Sie denken. Dass ich der bin, der …« Brisbane hatte offensichtlich Mühe, klare Sätze zu formulieren. »Der, der … Sie wissen schon. Also wirklich, das ist in höchstem Maße ridikül!«
Custer verschränkte die Hände hinter dem Rücken, kam mit langsamen Schritten auf den Schreibtisch zu, baute sich vor dem Ersten Vizepräsidenten auf und fragte – bedächtig Wort für Wort aneinander reihend – in ruhigem, beherrschtem Ton: »Was, Mr. Brisbane, denke ich denn?«
3
Nur ein erfahrener Chauffeur wie Proctor vermochte den Rolls so geschickt über den Riverside Drive zu jagen, sich durchs Verkehrsgewühl zu schlängeln und immer wieder irgendeine schmale Lücke zu entdecken, die er zum Überholen nutzen konnte. Nora war heilfroh, als sie endlich in die ruhigere Hunderteinunddreißigste Straße abbogen. Aber plötzlich nahm Proctor abrupt den Fuß vom Gas, und im selben Augenblick sah sie, schräg zwischen andere Autos geklemmt, am Straßenrand einen silberfarbenen Ford Taurus mit dem New Yorker Kennzeichen ELI – sieben-sieben-drei-vier stehen.
Pendergast stieg aus und überzeugte sich, dass am Armaturenbrett das Hertzschild klebte. Nachdem er wusste, dass er das richtige Auto vor sich hatte, ging er um den Wagen herum und schlug so blitzschnell, dass sich die Bewegung kaum verfolgen ließ, das Seitenfenster neben dem Beifahrersitz ein und durchsuchte, obwohl die Alarmanlage empört aufjaulte, in aller Ruhe das Handschuhfach und die übrigen Ablagen. Zwei, drei Minuten später saß er wieder neben Nora. »Der Wagen ist leer«, teilte er ihr mit. »Smithback muss die Adresse mitgenommen haben. Nun können wir nur noch hoffen, dass Lengs Haus irgendwo hier in der Nähe liegt.«
Er trug Proctor auf, am Grant’s Tomb zu parken und aufihren Anruf zu warten, dann machte er sich zusammen mit Nora auf die Suche. Er legte mit weit ausholenden Schritten ein Tempo vor, bei dem Nora, obwohl sie durchtrainiert und gut zu Fuß war, nur mit Mühe mithalten konnte.
Nach wenigen Minuten waren sie am Drive angekommen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite erstreckte sich der Riverside Park, dessen knorrige, wie grimmige Wächter aufragende Bäume es darauf anzulegen schienen, Fremden den Blick auf das tiefer gelegene, unergründliche Dunkel zu verwehren. Nora und Pendergast wussten, was hinter dem Park lag, und selbst wenn sie’s nicht gewusst hätten, wäre ihnen angesichts der im Mondlicht glitzernden, vom Wellengang gekräuselten Fläche schnell klar geworden, dass es der Hudson sein musste.
Nora blieb stehen und ließ den Blick ratlos über vom Verfall gezeichnete Apartmenthäuser, alte, von ihren Besitzern verlassene Villen und von der Sozialhilfe unterhaltene Behelfsunterkünfte schweifen. »Wie sollen wir denn hier das richtige Haus finden?«, fragte sie entmutigt.
»Es dürfte spezielle Charakteristika aufweisen«, sagte Pendergast. »Es muss ein Privathaus sein, mindestens hundert Jahre alt und nicht in Mietwohnungen aufgeteilt. Wahrscheinlich sieht es verlassen aus, aber es ist bestimmt gut gesichert. Ich denke, wir versuchen es zunächst Richtung Süden.« Doch dann legte er ihr, ehe sie weitergingen, die Hand auf die Schulter. »Normalerweise würde ich jemanden, der nicht
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