Pendergast 03 - Formula - Tunnel des Grauens
im Polizeidienst steht, nicht zu einer solchen Aktion mitnehmen.«
»Aber der Mann, um den es geht, ist mein Freund …«
Pendergast winkte ab. »Für Diskussionen bleibt uns keine Zeit. Ich habe gründlich darüber nachgedacht, worauf wir uns einlassen und womit wir rechnen müssen. Ich will Ihnen das Ergebnis so unverblümt wie möglich sagen: Sollten wir das Haus finden, ist meine Chance, mit Leng fertig zu werden, ohne Assistenz verschwindend klein.«
»Umso besser. Ich wäre sowieso mitgekommen.«
»Das weiß ich. Und ich weiß auch, dass wir bei einem so gerissenen Mann wie Leng zu zweit bessere Chancen haben als ein großes Polizeiaufgebot, das ihn durch den mit so einer Aktion unvermeidlich verbundenen Lärm nur frühzeitig warnen würde. Wobei es ohnehin fraglich ist, ob wir innerhalb der kurzen Zeit, die uns bleibt, ein größeres Polizeiaufgebot hätten mobilisieren können. Aber, Dr. Kelly, ich muss Ihnen unumwunden sagen, dass ich Sie möglicherweise in eine Situation mit unkalkulierbaren Risiken bringe. Kurz gesagt: in eine Situation, die Sie oder mich oder uns beide das Leben kosten könnte.«
»Das Risiko gehe ich ein.«
»Dann habe ich nur noch eine letzte Bemerkung zu machen. Es ist nicht auszuschließen, dass Smithback bereits tot ist. Zumindest müssen wir darauf gefasst sein, dass er, wenn wir das Haus endlich gefunden, uns Einlass verschafft und Leng unschädlich gemacht haben, nicht mehr lebt.«
Nora ahnte, dass ihr die Stimme versagen würde, sie nickte nur stumm. Pendergast ging es wohl so ähnlich, er drehte sich wortlos um und schlug den Weg nach Süden ein.
Sie kamen an mehreren alten, offenbar in Wohnungen aufgeteilten Häusern und einmal auch an einer Einrichtung der Wohlfahrt vorbei, auf deren Stufen Alkoholabhängige herumlungerten, die ihnen apathisch nachstarrten. Und dann, als Nora schon alle Hoffnung aufgeben wollte, blieb Pendergast am Tiemann Place vor einem offensichtlich von seinem Besitzer aufgegebenen Stadthaus stehen. Er starrte unschlüssig auf das Gebäude, umrundete es halb, bis er über einen in sich zusammengebrochenen Zaun einen Blick auf die Seitenfront werfen konnte, und kam zurück.
»Und?«, fragte Nora gespannt.
»Ich denke, wir sollten hineingehen.«
Der Haustürbereich war mit zwei dicken Sperrholzplatten vernagelt und zusätzlich mit einer Stahlkette gesichert. Pendergastzerrte das schwere Vorhängeschloss mit einer Hand so weit wie möglich nach vorn, ließ die andere Hand in eine der zahllosen Innentaschen seines Jacketts gleiten und förderte ein merkwürdiges Utensil zu Tage, das aussah, als wäre es am hinteren Ende mit Zahnstochern gespickt.
Nora runzelte die Stirn. »Was ist das?«
»Man könnte es einen elektronischen Schlossknacker nennen«, erwiderte Pendergast, schob die Zahnstocher – die sich im Lichtstrahl der Taschenlampe als Kranz aus Stahlstäben entpuppten – in das Vorhängeschloss, duckte sich zur Seite und bedeutete Nora, ebenfalls in Deckung zu gehen.
Durch den Druck auf die Stahlstäbe wurde das Gerät eingeschaltet, ein Drillbohrer fraß sich mit schrillem Jaulen rotierend in das Schloss und knackte es auf, Pendergast musste der Haustür nur noch einen kräftigen Tritt versetzen.
Ein übler Gestank schlug ihnen entgegen. Pendergast ließ den Lichtstrahl der Taschenlampe über den Eingangsbereich huschen. Vor ihnen türmten sich Berge von verrottenden Abfällen, dazwischen lagen tote Ratten, von den Wänden starrte sie der nackte Putz an, auf dem Boden hatten sich Schmutzwasserlachen gebildet. Pendergast machte wortlos kehrt, Nora folgte ihm.
Und so setzten sie ihre Suche bis nahezu ans Ende der Hundertzwanzigsten Straße fort, obwohl sich schon bald abzeichnete, dass die Wohngegend allmählich einen etwas gepflegteren Eindruck machte und die meisten Häuser bewohnt waren. Schließlich blieb Pendergast stehen und stellte knapp fest: »Es hat keinen Zweck, weiterzugehen. Probieren wir’s lieber Richtung Norden.«
Also kehrten sie unverrichteter Dinge zu ihrem Ausgangspunkt an der Hunderteinunddreißigsten Straße zurück und wandten sich nach Norden. Obwohl sie es eigentlich eilig hatten, kamen sie nun viel langsamer voran, weil die ganze Gegend einen so heruntergekommenen Eindruck machte, dass praktisch jedes leer stehende Gebäude das gesuchte Haussein konnte. Den meisten Gebäuden schenkte der Agent nur einen kurzen abschätzenden Blick, bei dreien machte er sich – während Nora auf der Straße Wache hielt – die
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