Pendergast 04 - Ritual - Höhle des Schreckens
besten Willen nichts Ungewöhnliches sehen.
Pendergast schien mit den Gedanken ganz woanders zu sein. Er hatte schon während der Fahrt hierher kaum ein Wort mit ihr gewechselt. Und jetzt starrte er geistesabwesend in die Richtung, in der die drei Hügel lagen, als interessierten ihnder neuerliche Mord und das Auffinden der Leiche überhaupt nicht. Als er allerdings merkte, dass Corrie ihn streng fixierte, kehrte er reumütig in die Gegenwart zurück.
»Kommen Sie doch rüber!«, lud Hazen ihn ungewohnt liebenswürdig ein. »Sie können sich ruhig alles aus der Nähe ansehen, Special Agent Pendergast. Und du auch, Corrie.« Pendergast folgte Hazens Einladung, Corrie schloss sich zögernd an.
»Der Gerichtsmediziner wird den Bauch gleich öffnen«, ließ Hazen den Agent wissen.
»Ich würde raten, den Laborbefund abzuwarten«, erwiderte Pendergast.
»Firlefanz!«, winkte Hazen ab und nickte dem Gerichtsmediziner aufmunternd zu. »Fangen Sie ruhig an!«
Die Fotografen machten noch letzte Aufnahmen, dann traten sie zurück.
Der Gerichtsmediziner nahm eine Schere aus seinem Lederkoffer und schnippelte vorsichtig an der Naht aus grobem Garn herum.
Schnipp.
Die Bauchdecke wölbte sich nach oben, die Naht riffelte sich unter dem Druck, dem sie plötzlich ausgesetzt war, langsam auf.
Pendergast runzelte die Stirn. »Wenn Sie nicht vorsichtig vorgehen, könnte wertvolles Beweismaterial verloren gehen.«
»Was da drin ist, ist sowieso irrelevant«, krähte der Sheriff in seltsam vergnügtem Ton.
»Ich würde sagen, es ist höchst relevant.«
Hazens gute Laune schien sich von Sekunde zu Sekunde zu steigern. »Sie können von mir aus sagen, was Sie wollen. Doktor, schneiden Sie das andere Ende auch auf.«
Schnipp.
Die Bauchdecke klappte auf. Im Nu kam allerlei Getier herausgekrabbelt und suchte eilends das Weite. Ein fauliger Gestank stieg auf, Corrie rang nach Luft, wich ein, zweiSchritte zurück und hielt sich die Hand vor den Mund. Sie brauchte eine Weile, bis sie wahrhaben wollte, was da alles unter Chauncys Bauchdecke gesteckt hatte: frisch abgebrochene Zweige, vermoderte Holzsplitter, Frösche, Salamander, Mäuse und sogar ein Hundehalsband. Eine Schlange versuchte trotz einer Verletzung verzweifelt, sich ringelnd ins Gras zu flüchten.
»Der verdammte Mistkerl!«, murmelte Hazen und verzog angewidert das Gesicht.
Pendergast deutete auf den widerlichen Klumpen, der nach dem Exodus der Kleintiere in der Bauchhöhle liegen geblieben war. »Da haben Sie übrigens auch Ihren Schwanz, Sheriff.«
Hazen zuckte verunsichert zusammen. »Wie meinen Sie das?«, blaffte er Pendergast an. »Welchen Schwanz?«
»Der, den der Mörder dem Hund ausgerissen hat.«
»Ach, den meinen Sie. Sie können sicher sein, dass wir den genau untersuchen werden.«
»Und das Halsband hat auch in Chauncys Bauch gesteckt.«
»Ja, schon gut«, winkte der Sheriff ab. Er sah sich immer wieder suchend um, als warte er auf etwas.
»Darf ich darauf hinweisen, dass der Schnitt in die Bauchhöhle offenbar mit demselben primitiven Werkzeug ausgeführt wurde, das bereits bei Miss Swegg, dem Abtrennen des Hundeschwanzes sowie der Verstümmelung von Gasparilla verwendet wurde.«
Hazen nickte zerstreut. »Ja, ja.«
Einer der Männer von der Mordkommission hob mit der gummierten Pinzette zuerst den Hundeschwanz und dann ein indianisches Messer mit einer Klinge aus Feuerstein hoch, musterte die Funde flüchtig und verwahrte beide in Plastikbeuteln.
Pendergast ließ nicht locker. »Soweit sich das ohne Analyse beurteilen lässt, handelt es sich um ein Messer, wie es die zum südlichen Stamm gehörenden Cheyenne in der Frühzeit ihrer Kultur benutzt haben. Eines der typischen Merkmale ist deraus Weidenholz geflochtene Handgriff. Das Messer ist echt, keine billige Imitation. Es dürfte sich in sehr gutem Zustand befunden haben, bevor die Klinge durch ungeschicktes Hantieren beschädigt wurde. Ich meine, es handelt sich um ein Fundstück von besonderer Bedeutung.«
Hazen grinste verbissen. »Oh ja, von geradezu herausragender Bedeutung! Genau wie der übrige Quatsch, den Sie die ganze Zeit über verzapft haben.«
Pendergast hob indigniert die Augenbrauen. »Wie meinen?« Plötzlich raschelte etwas hinter ihnen, zwei Trooper kamen mit ihren – natürlich blitzblank geputzten – Stiefeln durch den Mais gestapft. Der eine hielt ein Blatt Papier in der Hand. Der Sheriff drehte sich zu den beiden um und grinste erwartungsvoll. »Aha, das Fax, nicht
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