Pendergast 04 - Ritual - Höhle des Schreckens
ältester Sohn die neunte Klasse wiederholen musste, dass Dales Jauchegrube nicht den hygienischen Vorschriften entspricht – und so weiter und so weiter.«
Als Pendergasts Blick immer noch etwas ratlos zwischen ihr und der Karte hin und her pendelte, unternahm Marge geduldig noch einen Versuch, den Mann vom FBI von den Vorteilen und der Verlässlichkeit ihrer Buchführung zu überzeugen.
»Ich habe hier dreiundneunzig Karten, je eine für die Familien in Medicine Creek und den eingemeindeten Einzelgehöften, und ich könnte Ihnen zu jeder einzelnen Familie so viel erzählen, dass wir pro Karte eine geschlagene Stunde brauchen, von mir aus auch mehr.« Sie redete sich immer mehr in Eifer. Schließlich kam es nicht jeden Tag vor, dass sich der Vertreter einer Bundesbehörde für ihre Aufzeichnungen interessierte. Und seit Rockys Tod hatte sie, Gott sei’s geklagt, kaum noch jemanden, mit dem sie mal ein Schwätzchen halten konnte. »Ich verspreche Ihnen, wenn wir durch sind, wissen Sie alles, was man über Medicine Creek überhaupt nur wissen kann. Also, Mr. Pendergast, ich frage noch mal: Womit wollen wir anfangen?«
Pendergast überlegte einen Augenblick. »Nun, ich würde vorschlagen, dass wir mit dem Buchstaben A anfangen.«
Marge runzelte die Stirn und sah ihn missbilligend an. »In Medicine Creek gibt es keinen Familiennamen, der mit A anfängt, Mr. Pendergast. Am besten, wir gehen der Reihe nach vor und fangen mit David Barness an, er wohnt draußen an der Cry Road. Einverstanden?«
Als Pendergast nickte, seufzte sie und sah ihn tief betrübt an. »Es tut mir wirklich sehr Leid, dass ich keinen Stuhl für Sie habe. Aber ich sag Ihnen was: Morgen bringe ich von zu Hause einen Küchenstuhl mit, ja?« Sie ordnete die Karte von Dale Estrem wieder an der richtigen Stelle ein, leckte kurz den Zeigefinger an und zog die allererste Karteikarte aus ihrem Holzkasten.
Der Fernseher flimmerte zwar immer noch, aber Marge ging so in ihrer neuen Aufgabe auf, dass sie ihn gar nicht mehr beachtete.
16
Deputy Sheriff Tad Franklin lenkte den Streifenwagen auf den mit Splitt bestreuten Parkplatz zwischen dem großen viktorianischen Haus und dem Andenkenstand. Er hatte kaum die Wagentür aufgestoßen, als sich die Hitze auch schon wie eine bleierne Haube über ihn legte. Er blieb einen Moment stehen, lockerte die Rückenmuskeln und sah sich dabei neugierig um. Der Lattenzaun hatte Ähnlichkeit mit einem lückenhaften Gebiss, die weiße Farbe war längst abgeblättert. Auch das Wohnhaus hätte dringend einen Anstrich gebraucht, und der Garten war zur Unkrautwiese verkommen. Wohin er auch blickte, überall schlug ihm der muffige Atem des Verfalls entgegen. Ein bedrückender Anblick, der Tad an seinen Vorsatz erinnerte, Medicine Creek möglichst bald denRücken zu kehren. Nur, von heute auf morgen ließ sich das nicht realisieren. Etwas mehr berufliche Erfahrung konnte nichts schaden. Außerdem lag da noch eine Hürde vor ihm, an die er nur ungern dachte: Er musste Sheriff Hazen sagen, dass er sich woanders nach Arbeit umsehen wolle – in Wichita oder Topeko oder weiß Gott wo, bloß nicht in Medicine Creek. Der Sheriff würde das gar nicht gern hören und ihm in seiner väterlich polternden Art gehörig den Kopf waschen. Denn er hoffte insgeheim, dass Tad eines Tages sein Nachfolger wurde.
Tads Lederstiefel knarrten mit den ausgetretenen Stufen um die Wette, als er zur Veranda hochstieg und nach dem Türklopfer langte. Aber die Haustür wurde so schnell aufgezogen, dass er erschrocken zusammenzuckte.
Der Special Agent nickte ihm zu. »Ah, Deputy Sheriff Franklin! Bitte kommen Sie herein!«
Tad nahm den breitkrempigen Hut ab und folgte Pendergast mit einem leicht mulmigen Gefühl in die Diele. Der Sheriff hatte ihm aufgetragen, unbedingt herauszufinden, ob Pendergast neue Erkenntnisse in der Sache mit dem toten Hund habe und wie er weiter vorgehen wolle. Aber Tad konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie er es anstellen sollte, Pendergast auszuhorchen. Es sei denn, der Agent schnitt das Thema von sich aus an.
»Sie kommen gerade rechtzeitig zum Lunch«, sagte Pendergast in aufgeräumter Stimmung. Die Vorhänge waren zugezogen, was die mörderische Hitze zwar ein wenig dämpfte, aber ohne Klimaanlage war eben im August keine wirklich angenehme Raumtemperatur zu erreichen.
»Lunch?«, wiederholte der Deputy verdutzt.
»Nur ein leichter Salat und ein paar Antipasti. Prosciutto di San Daniele, Pecorino-Käse
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