Pendergast 04 - Ritual - Höhle des Schreckens
durch die Maisreihen, ein bizarrer Schatten inmitten lauter bizarrer Schatten. Die Maispflanzen beschrieben da, wo sie sich dem Bach näherten, einen sanften Bogen, und genau an der Biegung waren etliche Stängel abgeknickt. Der Mörder musste sehr unbekümmert sein, wenn er derart deutliche Spuren hinterließ. Die abgebrochenen Stängel hatten eine Art Durchschlupf geschaffen, den Pendergast nutzte, um lautlos an den Rand des Maisfeldes zu gelangen.
Vor ihm lag die flache Ebene des Bachufers, die breit ausladenden Pappeln versperrten den Blick auf den Wasserlauf und warfen tiefe Schatten auf das Ufer. Das willkommene Dunkel und das leise Plätschern des Bachs machtenes Pendergast leichter, vollends zum Phantom zu werden.
Er ging in die Hocke, legte die 45er neben sich, schaltete die Stablampe ein und schirmte sie mit den Händen ab. So schwach der gelbliche Lichtschimmer auch war, auf dem sandigen Boden zeichneten sich alle Spuren viel deutlicher ab als im Maisfeld. Sie liefen unverändert auf Gasparillas Lager zu. Dieselben Abdrücke, denen Pendergast schon die ganze Zeit gefolgt war: Schuhgröße elf, von einem Barfußläufer.
Der feine Sand verriet dem Agent allerdings noch mehr. Er sah die tieferen Abdrücke, die der Ballen und der große Zeh hinterlassen hatten. Die schwachen Querrippen ließen auf eine ungewöhnlich starke Hornhaut schließen. Er legte prüfend den Zeigefinger auf die Spuren: staubtrocken, sie waren vor ungefähr zwölf bis fünfzehn Stunden entstanden, also kurz vor Morgengrauen. Ein paar Meter weiter bekamen die Enden der Abdrücke kleine Schleifspuren, der Mörder hatte sein Tempo offenbar beschleunigt. Aber nichts deutete auf erzwungene Hast hin, der Mann hatte sich offenbar nicht verfolgt gefühlt, sonst hätte er die Richtung geändert oder sich ins Maisfeld gekauert. Nein, die Stetigkeit der Spur ließ eher zufriedene Gelassenheit vermuten. Und was konnte den Mann in dieser abgelegenen Gegend zufriedener stimmen als die Aussicht, in wenigen Minuten zu Hause zu sein?
Zu Hause…Bis zu Gasparillas Lager waren es höchstens noch hundert, allenfalls zweihundert Meter. Pendergast hob die 45er auf und ging, den Blick fest auf den Boden gerichtet, langsam weiter. Je näher er dem Lager kam, desto größer wurden seine Zweifel. Er konnte keinen Lichtschimmer sehen, nicht mal die Glut der Feuerstelle. In Gasparillas Lager rührte sich nichts, es wirkte verlassen.
Aber plötzlich hörte er doch etwas: ein schwaches, kaum wahrnehmbares Geräusch. Er blieb stehen und lauschte angestrengt ins Dunkel.
Eine Minute verging, dann hörte er wieder das Geräusch.Aber diesmal war es etwas lauter, es klang wie unterdrücktes Stöhnen.
Statt weiter der Spur der nackten Füße zu folgen, hielt sich Pendergast nun näher am Bachufer, sodass er sich dem Lager von rechts nähern konnte. Der Wind, so schwach er war, hätte längst den Geruch von Rauch oder gebratenem Fleisch zu ihm tragen müssen, doch nichts wies darauf hin, dass das Lager bewohnt war, nicht mal die schwache Glut eines fast erloschenen Feuers.
Dennoch hielt sich zweifellos jemand in der Nähe des Lagers auf. Vielleicht ein Tier? Gut möglich, denn für einen Menschen hörten sich die Laute zu unartikuliert, zu animalisch an. Da…da war der Laut wieder!
Schwere, gequält klingende Atemzüge, die fast an hilfloses Lallen erinnerten. Sie kamen aus der Mitte des Lagers. Gasparilla – oder wer immer es war – konnte höchstens fünfundzwanzig Meter weit weg sein. Das Dunkel war inzwischen allerdings so undurchdringlich geworden, dass selbst auf kurze Distanz nichts zu erkennen war.
Wieder die schweren Atemzüge. Und ein feuchtes, undefinierbares Blubbern.
Pendergast richtete die Mündung der Pistole auf die Stelle, von der die Laute – zumindest vermutlich – gekommen waren, bückte sich, hob einen Stein auf und warf ihn ins Zentrum des Lagers.
Er hörte ihn aufschlagen. Und nach langer Stille ein gutturales Geräusch, wie das Knurren eines gereizten Tieres. Danach wieder lautlose Stille.
Pendergast lauschte ins Dunkel, zehn Sekunden, zwanzig, dreißig, eine Minute – nichts. All seine Sinne waren bis zum Äußersten angespannt. Er rechnete jeden Augenblick damit, dass jemand versuchte, ihn anzuspringen. Gasparilla zum Beispiel, er hatte schon einmal unter Beweis gestellt, dass er sich in stockdunkler Nacht lautlos anschleichen konnte.
Er warf einen zweiten Stein ins Lager, diesmal in eine andereRichtung. Wieder dieselbe Reaktion:
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