Pendergast 04 - Ritual - Höhle des Schreckens
Nasenlänge Vorsprung hatte.
So wie er auch mit seiner Theorie von einem Serienmörder Recht behalten hatte. Und wahrscheinlich auch mit der Annahme, dass es ein Ortsansässiger war. Hazen hatte nicht daran geglaubt, weil er nicht daran glauben wollte. Dabei drängte die Theorie sich geradezu auf. Medicine Creek war ein kleines Nest, hier konnten Fremde nicht ungesehen kommen und leise wieder verschwinden. Nach Sonnenuntergang genügten zwei Autoscheinwerfer, und schon reckten alle die Hälse und wollten wissen, wer das war. Nein, der Mörder konnte nicht irgendein Vagabund sein, den der Zufall hierher verschlagen hatte. So unglaublich es sich auch anhörte, esmusste jemand aus der Stadt sein. Und das bedeutete, dass Sheriff Hazen ihn kannte.
»Ah, Sheriff – schön, Sie zu sehen!« Der Ton des Gerichtsmediziners war ungewohnt höflich, fast respektvoll. Offensichtlich witterte er, dass der Fall weit über die Grenzen ihrer kleinen Stadt hinaus Aufsehen erregen würde, auch in den Medien. Und das war für jemanden, der sich wie McHyde zu Höherem berufen fühlte, womöglich die Fahrkarte, mit deren Hilfe er den Mief von Westkansas hinter sich lassen konnte.
Hazen und Pendergast nickten sich zu, dann herrschte eine Weile betretenes Schweigen. Der Leichnam lag auf einem Rollwagen, mit einem grünen Tuch zugedeckt. Der Gerichtsmediziner hatte offenbar noch nicht mit seiner Arbeit begonnen. Was Hazen nur bedauern konnte, er hätte sich die Zuschauerrolle bei der Metzelei gern erspart.
McHyde räusperte sich. »Schwester Malone? Können wir anfangen?«
»Ja, Doktor«, sagte eine Stimme aus dem Lautsprecher.
»Gut, lassen Sie die Kamera laufen.«
Sie unterzogen sich den üblichen Präliminarien, jeder nannte seinen Namen und die berufliche Position. Hazen starrte die ganze Zeit wie gebannt auf die zugedeckte Leiche. Er hatte sie zwar schon draußen in den Maisfeldern gesehen, aber hier, in der sterilen Atmosphäre des Labors, kam ihm alles ganz anders vor. Irgendwie schlimmer.
Der Gerichtsmediziner zog vorsichtig das grüne Tuch weg. Und da lag er vor ihnen: Willie Stott, blutbesudelt, das Fleisch verstümmelt. Hazen drehte den Kopf weg, doch dann machte er sich klar, dass er sich nicht vor seiner Pflicht drücken konnte. Und so zwang er sich, den Blick wieder starr auf den Rollwagen zu richten.
Er hatte im Laufe der Jahre etliche Tote gesehen, aber mit Sicherheit noch keinen, der so übel zugerichtet war. Die Haut war knapp über dem Brustbein aufgeschlitzt und abgezogenworden, das Fettgewebe lag bloß. Auch an den Hüften und übers Gesicht war die Haut…Es fiel ihm kein treffenderer Ausdruck ein: Sie war regelrecht abgeschält worden. Geschmolzenes Körperfett war in dünnen Rinnsalen auf den Rollwagen getropft und dort während des Kühlungsprozesses zu weißen Flecken erstarrt. Nur, in dem toten Fleisch hatten sich merkwürdigerweise keine Maden eingenistet. Und auf einmal fiel Hazen etwas auf, was er bisher gar nicht bemerkt hatte: An der rechten Hüfte fehlte ein großes Stück Fleisch im Oberschenkel. Herausgebissen, vermutlich von einem streunenden Hund, die Abdrücke der Zähne waren deutlich zu sehen. Der Hund, des Menschen bester Freund, dachte der Sheriff grimmig.
Die nüchterne Stimme des Gerichtsmediziners riss ihn aus seinen Gedanken. »Wir haben es hier mit einem Toten zu tun, der als William LaRue Stott identifiziert wurde, ein zweiunddreißig Jahre alter, männlicher Weißer.« Dann zählte er, während Pendergast und Hazen stumm auf den Leichnam starrten, für das Kameraprotokoll in dankenswert kurzer Form die bereits gesicherten Erkenntnisse auf. Als er fertig war, wandte er sich zu Pendergast um. »Irgendwelche Feststellungen oder Vermutungen, Special Agent, bevor wir fortfahren?«
»Im Augenblick nicht, danke.«
»Gut. Wir haben heute Morgen eine erste Examination der Leiche vorgenommen und sind dabei auf mehrere Ungereimtheiten gestoßen – bedeutsame Ungereimtheiten, möchte ich betonen. Ich werde mit dem Allgemeinzustand beginnen.«
Wieder ein Räuspern, ein verstohlener Blick zur Kamera an der Decke des Labors.
»Das Erste, was mir auffiel, war, dass es keinerlei Spuren von Aktivitäten irgendwelcher Insekten gibt und der Leichnam kaum Anzeichen von Verwesung aufweist, obwohl das Mordopfer mindestens achtzehn Stunden bei Temperaturen übervierzig Grad im Freien gelegen hat, davon zwölf Stunden unter direkter Sonneneinstrahlung.«
Er räusperte sich, was wohl eine Art
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