Pendergast 04 - Ritual - Höhle des Schreckens
Arzt suchte Unterstützung bei Hazen. »Sheriff, Ihr Kollege ist auf dem besten Weg, meinen Patienten zu töten! Machen Sie ihm klar, dass er gehen muss! Sofort!«
Hazen zog die Augenbrauen hoch. Kollege? Na gut, wenn’s der Doc sagte…Er tippte Pendergast auf die Schulter – einerkennbar halbherziger Versuch, der schon deshalb keinen Erfolg haben konnte, weil Gasparilla den Agent fest umklammert hielt.
Die Schwester hatte die Spritze aufgezogen und injizierte dem Patienten eine weitere Dosis des Beruhigungsmittels. Weil Gasparilla sich aber hochstemmte, rutschte die Nadel prompt aus der Kanüle. Die Bemühungen des Sheriffs, Pendergast aus Gasparillas Griff zu befreien, trugen noch mehr zum allgemeinen Tumult bei.
Der Agent gab Hazen mit den Augen einen stummen Wink und fragte Gasparilla: »Was haben Sie gesehen?«
Das Beruhigungsmittel begann zu wirken, Gasparillas Augen wurden glasig. »Den Teufel!«, stammelte er. »Er ist leibhaftig mitten unter uns! Aber…«
»Aber?«, fragte Pendergast eindringlich.
»Aber er ist ein Kind! Ein Kind, hören Sie?«
Dann sank er zurück, seine Arme wurden schlaff. Eines der Geräte piepste schrill, Sekunden später ging das Piepsen in einen hohen Dauerton über.
»Herz-Kreislauf-Versagen!«, rief der Arzt dem Pfleger zu.
»Holen Sie eine Rollbahre, schnell!«
Die Tür flog auf, zwei Ärzte und mehrere Krankenschwestern kamen hereingestürmt. Pendergast befreite sich aus Gasparillas schlaff gewordenem Griff. Sein gewöhnlich leichenblasses Gesicht hatte sich rot verfärbt. Einer der neu hinzugekommenen Ärzte wies Hazen und ihn aus dem Raum.
Während sie auf dem Flur warteten, schienen die Aktivitäten in der Intensivstation immer hektischer zu werden, bis plötzlich, als sei ein Stecker herausgezogen worden, der schrille Piepston verstummte und unheilvolle Stille eintrat.
Als Erster kam der Assistenzarzt auf den Flur. »Sie haben ihn getötet!«, sagte er mit schleppender, beinahe tonloser Stimme zu Pendergast.
Der Agent sah ihm fest in die Augen. »Wir haben beide nur getan, was unsere Pflicht ist. Er musste einfach loswerden,was ihm auf der Seele brannte. Sie haben doch selber gesehen, wie er sich an mir festgeklammert hat.«
Der Arzt zögerte einen Augenblick, dann sagte er: »Sie haben, glaube ich, Recht.«
»Was war die genaue Todesursache?«
»Ein Herzinfarkt. Kein Wunder, er kämpfte schon die ganze Zeit über mit gefährlichem Herzflimmern. Es ist uns einfach nicht gelungen, den Herzrhythmus zu stabilisieren. Da musste es so kommen. Irgendwann setzt ein geschwächtes Herz aus, es explodiert regelrecht.«
Pendergast nickte. »Mit anderen Worten: Er ist an seiner Angst gestorben.«
Der Arzt sah ihn nachdenklich an, dann sagte er: »Die Formulierung mag ein wenig dramatisch sein, aber ich stimme mit Ihnen überein, genauso war es.«
27
Etliche Stunden später und zweitausend Meilen weiter östlich malte die untergehende Sonne einen satten Bronzeton auf den Hudson River. Ein Flussschiff glitt unter der kühnen Konstruktion der George Washington Bridge durch; im Vergleich zu ihm nahmen sich die beiden Segelboote, die, ohne die Oberfläche des Flusses auch nur zu kräuseln, weiter flussabwärts auf die Upper New York Bay zuhielten, wie winzige Spielzeugschiffchen aus.
Oberhalb des Steilufers von Manhattan, das wie ein Schutzwall vor dem Riverside Park lag, eröffnete der angrenzende, in den Stadtplänen als Riverside Drive verzeichnete Boulevard einen phantastischen Blick auf den Fluss. Aber in der vierstöckigen Beaux-Arts-Villa zwischen der 137. und der 138. Straße hatte sich seit vielen Jahren niemand mehr die Mühe gemacht, das unvergessliche Panorama auch nur einesBlickes zu würdigen. Das Haus stand leer, die Dachziegel hatten sich gelockert und waren brüchig geworden, aus den verhängten Fenstern schimmerte kein Lichtschein, unter dem Schutzdach der einst so prächtigen Auffahrt parkten schon lange keine Autos mehr. Das Haus schien im Schatten der alten Eichen und Färberbäume in einen Dornröschenschlaf gefallen zu sein.
Und doch regte sich in den wie Waben aneinander gereihten Räumen des Kellergeschosses Leben. Eine skurrile Gestalt machte sich in ihnen zu schaffen: ein hageres, fast ausgemergelt erscheinendes Männchen im Laborkittel, mit einem Klemmbrett unter dem Arm und einem Grubenhelm auf dem Kopf, dessen gelbe Stirnlampe warmes Licht auf die rauen, feuchten Steinwände und die Schränke aus Edelholz warf. Die Gestalt erinnerte mit
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