Pendergast 04 - Ritual - Höhle des Schreckens
andere Relikte zu finden sind, könnte den Mörder dazu gebracht haben, einen Zusammenhang zu konstruieren.«
»Und wie lautet Ihre Theorie?«
»Es wäre ein fataler Fehler, irgendeine Hypothese zu entwickeln, solange sie sich nicht auf harte Fakten stützen kann. Ich achte sehr darauf, keine verfrühten Theorien zu entwickeln. Im Moment will ich nur Erkenntnisse sammeln.« Er wandte sich um, fuhr weiter mit dem Detektor über den Boden und markierte die Stellen, an denen dieser anschlug.
Nach einer Weile traten sie auf einer bisher nicht überprüften Route den Rückweg zu den Hügeln an. Je näher sie ihnen kamen, desto felsiger wurde der Boden. Pendergast deutete mehrere Male auf offensichtlich frisch gegrabene, flüchtigmit Reisig oder Laub zugedeckte Erdlöcher. »Sheila Sweggs letzte Ausgrabungen«, kommentierte er wortkarg.
Corrie konnte nicht anders, sie musste endlich die Frage loswerden, die ihr schon lange auf den Nägeln brannte. »Haben Sie wirklich keine Ahnung, wer der Mörder sein könnte?«
Pendergast nahm sich viel Zeit, bevor er antwortete. »Sie fragen mich nach dem Mörder, aber ich versuche gerade erst die Summe all dessen zusammenzutragen, was er
nicht
ist.«
»Das ist mir zu hoch.«
»Fest steht, dass wir es mit einem Serienmörder zu tun haben, der weiter morden wird, wenn wir ihn nicht daran hindern. Was mir allerdings Rätsel aufgibt, ist die Tatsache, dass er in keines der bekannten Muster passt. Er verhält sich anders als alle bisher bekannten Serienmörder.«
»Woher wollen Sie das wissen?«, fragte Corrie.
»In der FBI-Zentrale von Quantico in Virginia beschäftigt sich eine Gruppe von Wissenschaftlern mit der Erforschung von gängigen Verhaltensmustern. Anhand ihrer Ergebnisse arbeiten sie Profile aus, die widerspiegeln, was in den Gehirnen von Kriminellen vorgeht. Dazu tragen sie Fälle von Serienmorden in allen Teilen der Welt zusammen und quantifizieren sie anhand einer umfangreichen Datenbasis.«
Pendergast war während seiner Ausführungen weiter gegangen und hatte den Boden immer wieder mit dem Detektor abgesucht. Corrie fiel erst jetzt auf, dass sie inzwischen auf der Südseite der Hügel angekommen waren.
»Sind Sie sicher, dass Sie tatsächlich eine Vorlesung über forensische Verhaltensforschung hören wollen?«
»Warum nicht? Das ist wesentlich interessanter als Trigonometrie.«
»Gut«, sagte der Agent und fuhr, ohne stehen zu bleiben, fort: »Für Serienmorde gibt es – genau wie bei anderen Verbrechen – kein unumstößliches, immer wiederkehrendes Verhaltensmuster. Das FBI unterscheidet bei Serienmördern zwei Standardtypen: die organisierten und die nicht organisierten.Organisierte Täter sind intelligent und in ihrem Sozial- und Sexualverhalten aggressiv. Sie planen ihre Taten sorgfältig, das Opfer ist für sie eine anonyme Person. Sie suchen sie mit Bedacht aus, aber sie bleibt ein fremder Mensch. Sie handeln sehr beherrscht, und zwar vor, während und nach der Tat. Auch der Tatort ist mit großer Sorgfalt gewählt. Gewöhnlich lassen sie die Leiche ihres Opfers nicht dort liegen, sondern versuchen, sie zu verstecken. Dieser Typ Serienmörder ist oft schwer zu überführen…
Der nicht organisierte Mörder handelt dagegen spontan. Häufig leidet er unter Minderwertigkeitskomplexen, was sich auf sein soziales wie auch sexuelles Verhalten auswirkt. Sein IQ ist niedrig. Der Tatort ist in der Regel spontan gewählt, häufig rein zufällig. Er unternimmt nur selten Anstrengungen, die Leiche zu verstecken, meistens lässt er sie am Tatort zurück. Häufig wohnt er ganz in der Nähe seines Opfers und kennt es gut. Der Entschluss, es zu überfallen, wird oft ohne vorherige Planung gefasst und brutal ausgeführt.«
»In unserem Fall scheint der Mörder zur Gruppe der organisierten Täter zu gehören«, warf Corrie ein.
»Nein, so ist das ganz und gar nicht.« Pendergast musterte sie mit einem besorgten Blick. »Ich weiß, dass ich Ihnen ziemlich harten Tobak zumute, Miss Swanson.«
»Ich kann’s verkraften.«
Als Pendergast »Ja, Ihnen glaube ich das« murmelte, rätselte Corrie einen Moment lang, ob sie das als Kompliment oder als Vorwurf werten sollte. Sie kam nicht dazu, sich für eine Antwort zu entscheiden, weil der Detektor wieder anschlug, diesmal ziemlich schwach. Pendergast ging in die Knie, schabte die Erde weg und zog ein verrostetes Spielzeugauto aus dem Boden. Corrie sah ein Lächeln über sein Gesicht huschen.
»Schau an, ein Morris Minor,
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