Pendergast 05 - Burn Case - Geruch des Teufels
Beispiel machte das Holz härter und dichter. Das zerstoßene Quarz und das Glas verhinderten, dass die Geigen von Holzwürmern befallen wurden. Ich könnte derlei noch viel erzählen, aber das Wichtigste ist natürlich die Dosierung und Gewichtung der einzelnen Komponenten, und die, Signor Pendergast, werde ich Ihnen nicht verraten.«
Pendergast nickte verständnisvoll.
»Im Laufe der Jahre habe ich aus derart behandeltem Holz hunderte Geigen gebaut. Ich experimentierte hinsichtlich der Zusammensetzung der Lauge und auch bei der Dauer des Einweichprozesses. Alle Geigen hatten einen klaren, kräftigen Klang, aber irgendetwas fehlte ihnen. Sie hörten sich stets rau und fast kratzig an. Und genau daran offenbart sich Stradivaris einmaliges Genie. Denn er persönlich war es, der den bis zu seinem Tod streng geheim gehaltenen Firnis für seine Instrumente entwickelt hat.«
Er tippte etwas in den Computer ein und klickte sich durch ein paar Menüs. Pendergast und D’Agosta verfolgten gespannt, wie auf dem Bildschirm etwas auftauchte, das an ein seltsam zerklüftetes Bergpanorama erinnerte.
»Da haben Sie Stradivaris geheimen Firnis unter dem Elektronenmikroskop in dreißigtausendfacher Vergrößerung. Wie Sie sehen können, bekommt man keineswegs das glatte, geschmeidige Bild, das der Laie erwartet, sondern tausende und abertausende mikroskopisch kleine Risse und Sprünge. Wenn aber das Instrument gespielt wird, absorbieren eben diese Risse und Sprünge die rauen, kratzigen Vibrationen. Das ist das eigentliche Geheimnis der Stradivaris. Das Problem liegt darin, dass es einer unvorstellbar aufwändigen Prozedur bedarf, um nachträglich die richtige Dosierung aller chemischen, organischen und anorganischen Wirkstoffe herauszufinden und abzustimmen. Stradivari hat keine Aufzeichnungen hinterlassen, er hat nach dem Gefühl gearbeitet. Zugegeben, man könnte den Firnis ablösen, um ihn zu analysieren. Aber dies würde bedeuten, dass man das Instrument zerstört.«
Er legte eine kleine Pause ein, und schließlich sagte er achselzuckend: »Das ist alles, was ich Ihnen erzählen kann, Signore Pendergast. Lassen Sie uns also nun darüber sprechen.« Er öffnete die Hand und versuchte ein wenig unbeholfen, die Visitenkarte, die er die ganze Zeit mit sich herumgetragen hatte, einigermaßen glatt zu streichen. D’Agosta reckte neugierig den Hals, weil er sich schon lange fragte, was der Agent wohl darauf gekritzelt hatte. Es war nur ein einziges Wort: Stormcloud.
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Der alte Mann hielt dem Agent mit zitternder Hand die Visitenkarte hin.
Pendergast nickte bestätigend. »Vielleicht wäre es am besten, wenn Sie Sergeant D’Agosta kurz erläutern würden, was es damit für eine Bewandtnis hat.«
Spezi wandte sich zu D’Agosta um. An seiner Miene war abzulesen, dass ihm das Thema Unbehagen bereitete. »Die Stormcloud war die wunderbarste Violine, die Stradivari je gebaut hat. Alle Virtuosen, von Monteverdi bis zu Paganini und ihren Epigonen, haben sie gespielt. Franz Clement hat sie bei der Premiere von Beethovens Violinkonzert in der Hand gehalten, auch Brahms höchstpersönlich hat sie anlässlich der Erstaufführung seines zweiten Violinkonzerts gespielt sowie Paganini bei der Uraufführung seiner vierundzwanzig Capriccios. Und dann ist sie kurz vor dem Ersten Weltkrieg spurlos verschwunden. Es hieß, seit dem Tod des Violinvirtuosen Luciano Toscanelli – möge der Himmel ihn strafen – sei sie nie mehr gesehen worden. Andere wollten dagegen wissen, dass sie in den Kriegswirren verloren gegangen ist.«
»Das ist sie nicht«, warf Pendergast ein.
Spezi zuckte zusammen. »Heißt das, es gibt sie noch?«
»Erlauben Sie mir noch ein paar Fragen, Dottore, ehe ich Ihnen antworte. Wissen Sie etwas über die Besitzer der Stormcloud?«
»Das war lange ein wohl gehütetes Geheimnis. Offenbar ist sie immer im Besitz derselben Familie verblieben, die das Instrument bei Stradivari selbst gekauft hat. Die Violine wurde nur nach dem Papier vom Vater an den Sohn vererbt, befand sich aber gewissermaßen als Dauerleihgabe bei einer Reihe von Virtuosen. Ein übliches Verfahren. Auch heute noch gehören die meisten Stradivaris namhaften Sammlern, die sie einem Virtuosen für längere Zeit als Leihgabe zur Verfügung stellen. So verhielt es sich auch mit der Stormcloud. Wenn der Virtuose während der vereinbarten Leihzeit verstarb oder sein Konzert beim Publikum durchfiel, wurde das Instrument von der Familie eingezogen und an einen
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