Pendergast 05 - Burn Case - Geruch des Teufels
Pendergast bog in eine Bar ein, ließ sich am Tresen nieder und bestellte für sie beide. D’Agosta blickte ihn irritiert an.
»Seit wann sind Sie denn so scharf auf Kaffee? Ich hatte Sie eher für einen Teetrinker gehalten.«
»Üblicherweise bin ich das auch. Aber wenn man schon einmal in Italien ist …«
Die Bedienung stellte zwei winzige Espressotassen vor ihnen ab. Pendergast rührte um und trank seine Tasse nach Art der Italiener in einem Zug aus. D’Agosta ließ sich mehr Zeit. Als er die Tasse absetzte, spürte er Pendergasts Blick auf sich und sah auf. Da war es wieder, das Jagdfieber.
»Mein lieber Vincent«, begann Pendergast, »denken Sie bitte nicht, dass ich mich womöglich aus Bosheit so verschlossen gebe. Bei polizeilichen Ermittlungen kann es ein schwerer Fehler sein, vorzeitig Theorien aufzustellen und die auch noch einem anderen mitzuteilen – erst recht, wenn man auf dessen Urteil so viel gibt wie ich auf das Ihrige. Ich möchte Sie mit dem, was mir durch den Kopf geht, nicht beeinflussen. Und aus demselben Grund frage ich Sie auch nicht nach Ihren Theorien.«
»Ich habe gar keine Theorie.«
»Glauben Sie mir, bevor der Tag zur Neige geht, werden Sie eine haben«, behauptete der Agent und legte zwei Euromünzen auf den Tresen. Dann standen sie wieder draußen.
»Unser erstes Ziel ist der Palazzo Comunale, ein wunderbares Beispiel für mittelalterliche öffentliche Architektur. Dort gibt es einen beachtenswerten marmornen Kaminsims von Pedoni.«
»Den habe ich mir schon immer ansehen wollen!«
Pendergast lächelte.
Nach einem strammen Spaziergang von zehn Minuten waren sie im Zentrum der Stadt angekommen. Pendergast nahm sich gerade mal Zeit, D’Agosta auf die prächtige Kathedrale und den angeblich höchsten romanischen Turm in ganz Italien hinzuweisen, dann eilte er auf das gegenüberliegende Rathaus zu.
Der Mann am Eingang nickte ihnen freundlich zu, und D’Agosta fragte sich, woran es wohl lag, dass Pendergast offenbar überall ungefragt Zutritt hatte. Er folgte ihm eine Treppe hinauf und einige Flure entlang, bis sie in einem kleinen, fast leeren Raum standen, in dessen Mitte sich eine Glasvitrine befand, sonst nichts. Ein bewaffneter Wärter bewachte den Ausgang.
In der Vitrine befanden sich sechs Geigen.
»Sehen Sie sich die Instrumente genau an, Vincent«, geriet der Agent ins Schwärmen. »Das sind nicht irgendwelche Geigen, oh nein, durch diese Glaswand können Sie einen Blick auf die Geschichte der Geige werfen, was in diesem Fall gleichbedeutend mit der Geschichte abendländischer Musik ist.«
»Ja, das sehe ich«, sagte D’Agosta mit einem leicht sarkastischen Unterton. Pendergast würde schon noch zum Wesentlichen kommen.
»Die erste, die da, wurde 1566 von Andrea Amati gebaut«, fuhr Pendergast unbeirrt fort. »Die beiden daneben stammen aus der Werkstatt seiner Söhne, und die daneben hat sein Enkelsohn gebaut. Die nächste stammt aus dem Jahr 1689, eine Arbeit von Giuseppe Guarneri. Und die letzte …«, Pendergast machte eine bedeutungsvolle Pause, »… ist eine Arbeit aus dem Jahr 1715, und zwar aus der Werkstatt von Antonio Stradivari.«
D’Agosta horchte auf, der Name kam ihm bekannt vor.
»Er ist der berühmteste und wegen seiner handwerklichen Technik am meisten gefeierte Geigenbauer der Welt«, fuhr Pendergast fort. »Man nennt ihn auch den Vater der modernen Violine. Elfhundert sind in seiner Werkstatt entstanden, von denen etwa sechshundert erhalten geblieben sind. Alle seine Arbeiten waren Meisterwerke, aber seine so genannte Goldene Periode begann etwa um das Jahr 1700, als er durch Strecken des Korpus eine völlig neue Form kreierte, die um 1720 durch eine flachere Wölbung und niedrigere Zargen ihre höchste Vollendung erlangte. Das Geheimnis seiner Geigen wurde nie ganz entschlüsselt, er hat es mit ins Grab genommen.«
»Ich nehme an, dass man für so ein Meisterwerk eine Menge Moos hinblättern muss«, warf D’Agosta ein.
Pendergast schmunzelte. »Es ist nicht allzu lange her, da hätte man eine seiner Violinen für höchstens hunderttausend Dollar erwerben können, aber inzwischen haben die Superreichen den Preis in schwindelnde Höhen getrieben. Unter einer Million werden Sie eine Stradivari heute kaum noch bekommen. Und wissen Sie, was das Schönste an Stradivaris Meisterwerken ist? Sie wollen gespielt werden, sonst verlieren sie ihren edlen Klang. Wenn sie nicht gespielt wird, verkümmert sie geradezu.« Dann gab er sich plötzlich
Weitere Kostenlose Bücher