Pendergast 05 - Burn Case - Geruch des Teufels
widerstrebend zu einem Kopfnicken durch.
»Sehr gut«, sagte Pendergast. »Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen zu Ihrer Arbeit stellen.«
»Ja, selbstverständlich. Aber zunächst zur Violine. Wie in alles in der Welt …«
»Eins nach dem anderen, Dottore. Ich weiß so gut wie nichts über Violinen. Verraten Sie mir bitte, was den unübertrefflichen Klang einer Stradivari ausmacht.«
Der alte Mann entspannte sich zusehends. Offenbar war er erst jetzt davon überzeugt, es nicht mit einem Spion oder Konkurrenten zu tun zu haben. »Das ist kein Geheimnis. Ich würde sagen, er ist sehr lebendig. Es ist ein interessanter Klang. Darüber hinaus ist er eine Kombination aus Dunkelheit und Brillanz, aus hohen und tiefen Frequenzen. Es ist ein voller Ton, aber zugleich ist er rein und süß wie Honig. Selbstverständlich klingt jede Stradivari anders. Manche haben einen volleren Ton, andere klingen eher dünn und wahrlich enttäuschend. Einige sind so oft repariert worden, dass man kaum noch von einer Original-Stradivari sprechen kann. Nur noch sechs Instrumente besitzen den ursprünglichen Hals. Wenn eine Violine zu Boden fällt, bricht immer der Hals. Aber ich würde sagen, dass es wohl so zehn oder zwanzig Instrumente gibt, die annähernd perfekt klingen.«
»Warum?«
Nun lächelte der Alte spitzbübisch. »Das ist die Frage aller Fragen.« Er stand auf, öffnete die Stahltür zu seinem Tonstudio und bedeutete Pendergast und D’Agosta, ihm zu folgen.
»Sehen Sie«, begann er zu dozieren, »die ersten ernst zu nehmenden Versuche, einer Stradivari das Geheimnis ihrer Klangfülle zu entlocken, wurden vor etwa fünfzig Jahren unternommen. Man verband einen Klanggenerator mit der Brücke einer Violine und versetzte das Instrument in Schwingungen. Ein absurder Versuch, denn die erzeugte Vibration lässt sich nicht mit den Schwingungen vergleichen, die bei einer gespielten Geige entstehen. Bei diesen Versuchen gelangen zwar erste Aufzeichnungen im Schwingungsbereich von zwei- bis viertausend Hertz, was jedoch nicht mal annähernd dem Bereich entspricht, innerhalb dessen das menschliche Ohr mühelos alle Feinheiten eines Klangkörpers registriert.«
Er aktivierte eine seiner mit dem Keyboard verbundenen Audiomix-Vorrichtungen und entfaltete so die ganze Klangfülle einer gespielten Violine. »Jascha Heifetz«, flüsterte er seinen Gästen zu, »eine Kadenz aus Beethovens Violinkonzert. Das menschliche Ohr vermag das Wunder zu vollbringen, die ganze Breite der Klangfülle zwischen dreißig und dreißigtausend Hertz aufzunehmen.«
D’Agosta schweifte mit seinen Gedanken ab, ihn beschäftigten gleich mehrere Fragen, an denen er herumrätselte. Was hatte das alles mit Bullard und den Morden zu tun? Was mochte Spezi dazu bewogen haben, so bereitwillig über die Geheimnisse seiner Stradivari-Forschung zu plaudern? Gab es vielleicht einen Zusammenhang zwischen all diesen Rätseln und der Visitenkarte, die Pendergast dem alten Mann in den Briefkastenschlitz geschoben hatte? Spezi erzählte noch eine Weile von den Irrwegen seiner Kollegen, die selbst mit dem Versuch einer Reproduktion der Harrison-Stradivari kläglich gescheitert waren. »Sämtliche Messwerte mussten nach menschlichem Ermessen stimmen, aber das Endprodukt, der Klang, war eine einzige Katastrophe. Niemand hatte erkannt, dass die Lösung des Problems etwas mit Chemie zu tun hatte. Niemand, nicht ein einziger unter den so genannten Experten! Seit dieser Erfahrung verlasse ich mich nur auf meine eigenen Erkenntnisse.«
»Und?«, fragte Pendergast.
Spezi zögerte. »Ich weiß nicht, was mich dazu bewogen hat, Ihnen zu vertrauen, aber ich tu’s. Das Holz, das Stradivari für seine Instrumente verwendete, wurde in den Ausläufern der Apenninen geschnitten und den Po abwärts zur Lagune von Venedig geflößt. Man hat das so gemacht, weil es ein bequemes, Kosten sparendes Verfahren ist. Aber es war, wie sich herausstellte, darüber hinaus das Beste, was man dem Holz antun konnte: Es öffnete die Poren. Stradivari hat das Holz nass gekauft. Und er hat es nicht getrocknet. Statt dessen ließ er es weiter in einer selbst entwickelten Lauge weichen – soweit ich herausgefunden habe, enthielt sie Borax, Meersalz, Fruchtgummi, Quarz und gemahlene Splitter von venezianischem Glas. Stradivari ließ das Holz Monate, wenn nicht sogar Jahre darin weichen. Und was bewirkten diese Stoffe? Ich sage Ihnen, wundersame Dinge. Zunächst einmal hielten sie das Holz frisch. Borax zum
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