Pendergast 06 - Dark Secret - Mörderische Jagd
seinem Büro stand nur ein einziger zusätzlicher Stuhl – auf dem nie jemand saß.
Heute saß allerdings Bryce Harriman darauf.
Smithback wollte gerade an die Tür klopfen, blieb dann aber abrupt stehen.
»Ah, Bill.« Davies nickte. »Sie kommen gerade recht. Treten Sie ein.«
Smithback machte einen, dann einen zweiten Schritt und bemühte sich, Harrimans Blick auszuweichen.
»Wollen Sie einen Follow-up-Artikel zum Duchamp-Mord einreichen?«, fragte Davies.
Smithback nickte. Er fühlte sich so benommen, als hätte man ihm soeben einen Tiefschlag versetzt. Hoffentlich merkten die beiden das nicht.
Davies strich über die Schreibtischkante. »Was ist der Aufhänger?«
Smithback hatte die Antwort parat. Das war Davies Lieblingsfrage, und zwar eine rhetorische: seine Art, die Reporter wissen zu lassen, dass er nicht wollte, dass sie sich auf die faule Haut legten. »Ich hatte da an einen lokalen Blickwinkel gedacht. Sie wissen schon, die Auswirkungen des Mordes auf das Gebäude, das Viertel, Freunde und Angehörige des Opfers. Und natürlich plane ich eine Follow-up-Story über die Forschritte in den Ermittlungen. Der Kopf der Ermittlungen ist nicht nur eine Frau, sondern dazu noch die jüngste Mordkommissarin bei der hiesigen Polizei.«
Davies nickte bedächtig und gab ein nachdenkliches Brummen von sich. Wie üblich gab seine Antwort nichts von dem preis, was er wirklich dachte.
Smithback wurde nervös und holte etwas weiter aus. »Sie kennen ja das Spiel: Gewaltsamer Tod schlägt in der Upper West Side zu, ältere Mitbürgerinnen haben Angst, abends ihren Pudel Gassi zu führen. Da flechte ich dann noch eine Skizze über das Opfer ein, seine Arbeit, solche Sachen eben. Könnte das Ganze vielleicht noch mit ein paar Zusatzinformationen über Captain Hayward aufmöbeln.«
Davies nickte, nahm einen Kugelschreiber zur Hand und drehte ihn langsam zwischen den Handflächen.
»Das könnte man ganz vorn im Lokalteil bringen«, sagte Smithback frohgemut, der seine Ideen noch immer an den Mann bringen wollte.
Davies legte den Kuli auf den Schreibtisch. »Bill, die Sache ist mehr als nur eine Story für den Lokalteil, es ist der größte Mord in Manhattan seit dem an Cutforth, über den Bryce hier berichtete, als er noch bei der Post gearbeitet hat.«
Bryce hier. Smithback lächelte weiter.
»Die Story hat jede Menge Blickwinkel. Nicht nur haben wir sensationelle Begleitumstände, sondern auch – wie Sie selber sagten – ein Edelrestaurant als Schauplatz. Dann ist da noch das Opfer selbst. Ein Maler. Und die Mordkommissarin.« Davies hielt inne. »Ist das nicht ein bisschen viel auf einmal – ich meine, für eine einzige Story?«
»Ich könnte zwei, sogar drei draus machen. Kein Problem.« Smithback war sich deutlich bewusst, dass er stand und Harriman saß.
Davies fuhr fort: »Ich persönlich hatte ja keine Ahnung, dass Duchamp – auf seine eigene, ruhige Art – ein ziemlich bekannter Maler war. Er war weder trendy noch beliebt bei den Galeristen in SoHo. War mehr so ein Maler, wie man sie in Sutton Place schätzt, ein Fairfield Porter. Bryce und ich haben uns gestern Abend darüber unterhalten. Wir haben drüben im Metropolitan Club noch zusammen einen Schluck getrunken.«
Smithback war pikiert. So also hatte dieser linke Schleimer das hingekriegt. Er hatte Davies auf einen Drink in den schicken Club seines Vaters eingeladen. Und Davies hatte offenbar eine Schwäche für solche Sachen, wie Smithback es schon bei vielen anderen Chefredakteuren festgestellt hatte. Chefredakteure waren die übelsten sozialen Aufsteiger, immer hängten die sich an die Schönen und Berühmten ran und hofften, dass ein paar Brosamen vom Tisch der Reichen abfielen. Er sah es praktisch vor sich, wie Davies in die klösterliche Abgeschiedenheit des Metropolitan Clubs trat; wie er zu einem Luxussessel in irgendeinem güldenen Salon geleitet wurde; ihm Getränke von devoten Kellnern gereicht wurden, während er derweil leise Begrüßungen mit diversen Rockefellers, De Menils und Vanderbilts austauschte – das war genau das, womit man Davies aus Maplewood in New Jersey den Kopf komplett verdrehen konnte.
Jetzt sah Smithback wieder in Harrimans Richtung. Der Mistkerl saß da herum, das eine Bein geziert über das andere geschlagen, und wirkte so nonchalant wie immer. Er machte sich nicht mal die Mühe, seinen Blick zu erwidern. Weil er das nicht nötig hatte.
»Wir haben soeben einen Mitbürger verloren«, fuhr Davies fort.
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