Pendergast 06 - Dark Secret - Mörderische Jagd
gehören der ganzen Menschheit. Sie sind der höchste Ausdruck des menschlichen Geistes, und ihr Wert übersteigt alle Fragen des Besitzes. Das Gleiche gilt für die Masken aus der Großen Kiva. Ja, das Museum hat die Masken auf unethische Weise erworben. Aber sie sind so außergewöhnlich, so wichtig und so großartig, dass sie den Tano nicht zurückgegeben werden dürfen, auf dass sie für immer in einem unterirdischen, feuchten Loch verschwinden. Darum sage ich: Veröffentlichen Sie das Editorial. Diskutieren wir darüber. Aber um Gottes willen geben wir die Masken nicht zurück.« Sie hielt erneut inne, dankte den Anwesenden für ihre Aufmerksamkeit und setzte sich.
Margo registrierte, dass sie langsam rot im Gesicht wurde. So ungern sie es auch zugab – Nora Kelly war klasse.
Menzies blickte in die Runde, aber offenbar wollte sich keiner mehr zu Wort melden. Er wandte sich zu Margo um. »Möchten Sie noch etwas anfügen? Sie haben das Wort.«
Sie sprang auf. »Ja. Ich möchte Dr. Kelly widersprechen.«
»Bitte.«
»Dr. Kelly hat praktischerweise einen entscheidenden Punkt übersehen: die Masken sind religiöse Objekte, anders als die anderen Dinge, die sie angeführt hat.«
Nora stand sofort auf. »Ist der Parthenon denn kein Tempel? Ist der David keine Gestalt der Bibel? Ist die Große Pyramide keine heilige Grabkammer?«
»Um Himmels willen, heutzutage sind das doch keine religiösen Stätten mehr. Kein Mensch geht mehr in den Parthenon, um dort Widder zu opfern!«
»Das ist genau mein Punkt. Diese Objekte haben ihre ursprüngliche begrenzte religiöse Funktion transzendiert. Jetzt gehören sie uns allen, gleichgültig, welcher Religion wir angehören. Mit den Masken aus der Großen Kiva verhält es sich genauso. Die Tano haben sie möglicherweise zu religiösen Zwecken geschaffen, aber jetzt gehören sie allen Menschen.«
Margo hatte das Gefühl, als würde sich ihre Röte über den ganzen Körper ausbreiten. »Dr. Kelly, darf ich an dieser Stelle einwerfen, dass sich Ihre Logik besser für ein Proseminar in Philosophie eignet als für eine Sitzung von Ethnologen im größten Naturhistorischen Museum der Welt?«
Schweigen. Menzies drehte sich langsam zu Margo um und betrachtete sie aus seinen blauen Augen, über denen sich die Brauen unwillig zusammenzogen. »Dr. Green, Leidenschaftlichkeit in Fragen der Wissenschaft ist zwar eine fabelhafte Sache. Aber wir müssen hier auch auf Höflichkeit bestehen.«
Margo schluckte. »Ja, Dr. Menzies.« Ihr Gesicht brannte. Wie hatte sie nur derart die Beherrschung verlieren können? Sie traute sich nicht einmal, zu Nora Kelly hinüberzublicken. Da hatte sie nicht nur einen Meinungsstreit angezettelt, sondern sich auch noch Feinde in der eigenen Abteilung gemacht.
Allgemeines nervöses Räuspern, ein paar geflüsterte Worte. »Sehr gut«, sagte Menzies, dessen Stimme jetzt wieder einen beruhigenden Klang angenommen hatte. »Ich habe einen ungefähren Eindruck der Meinungen beider Parteien gewonnen, und wie es aussieht, teilt sich das Pro und Contra ungefähr gleich auf. Zumindest unter denen, die eine Meinung haben. Ich habe meine Entscheidung getroffen.«
Er hielt inne und blickte in die Runde.
»Ich werde dem Direktor zwei Empfehlungen aussprechen. Erstens, das Editorial zu veröffentlichen. Margo ist dafür zu danken, dass sie die Debatte mit einem gut begründeten Editorial, das die besten Traditionen der Zeitschrift Museology bewahrt, angestoßen hat.« Er atmete tief durch. »Meine zweite Empfehlung lautet, die Masken den Tano zurückzugeben. Und zwar unverzüglich.«
Alle waren still. Margo konnte es kaum fassen – Menzies hatte sich hundertprozentig auf ihre Seite geschlagen. Sie hatte gewonnen. Sie schaute verstohlen zu Nora hinüber und sah, dass auch diese rot im Gesicht geworden war.
»Die Ethik unseres Berufsstandes ist eindeutig«, fuhr Menzies fort. »Diese Ethik schreibt vor, und ich zitiere: Die größte Verantwortung eines Ethnologen gilt dem Volk, das er untersucht. Es schmerzt mich mehr, als ich sagen kann, dass das Museum diese Masken verliert. Aber ich gebe Dr. Green und Dr. Wong Recht, dass wir die Masken zurückgeben müssen, wenn wir in ethischer Hinsicht Vorbild sein wollen. Ja, es stimmt, der Zeitpunkt ist sicherlich unglücklich gewählt, und er schafft auch große Probleme für die Ausstellung. Aber so Leid es mir tut, George: Wir müssen das machen.«
»Aber der Verlust für die Ethnologie, für die Menschheit…«, begann
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