Pendergast 06 - Dark Secret - Mörderische Jagd
Sie standen in einer Glasvitrine in der Mitte des Raumes und waren auf schlanken Stäben montiert, wobei jede Maske mit dem Gesicht in eine andere Richtung wies. Auf der kreisrunden Wand des Raumes war eine prachtvolle Darstellung der Landschaft New Mexicos gemalt worden, so dass jede Maske zu einem der vier heiligen Berge blickte, die das Land der Tano umgaben.
Margo betrachtete die Masken, deren Intensität sie aufs Neue tief bewegte. Es waren Gottheiten von einer erstaunlichen Symbolkraft: ernst, grimmig und doch zugleich überbordend von einer starken Menschlichkeit. Obgleich an die achthundert Jahre alt, wirkten sie wegen ihrer formalen Abstraktion modern. Es waren echte Meisterwerke.
Sie warf einen Blick auf ihre Notizen, dann ging sie zur nächstgelegenen Übersichtstafel, um sich zu orientieren. Schließlich schritt sie um das zentrale Exponat herum, schaute sich jede einzelne Maske genau an – und stellte überrascht fest, dass alles stimmte: Die Masken waren exakt angeordnet. Ashton hatte, trotz seines Geschimpfes, alles richtig gemacht. Ein wenig widerwillig gestand sich Margo sogar ein, dass er eine hervorragende Ausstellung auf die Beine gestellt hatte.
Sie steckte ihre Notizen in ihre Handtasche zurück. Die Stille und das trübe Licht wurden ihr allmählich zu viel, machten ihr Angst. Am besten, sie sah sich den Rest der Ausstellung ein andermal an, bei helllichtem Tag, wenn die Säle voller Besucher waren.
Sie hatte sich gerade umgewandt und wollte den gleichen Weg zurückgehen, den sie gekommen war, als sie aus dem Nebenraum ein lautes Klappern hörte, so, als wäre ein Holzbrett zu Boden gefallen.
Sie schrak zusammen, und plötzlich schlug ihr das Herz bis zum Hals. Eine Minute verstrich, ohne dass sie einen weiteren Laut vernahm. Während sich ihr Puls langsam beruhigte, ging Margo auf den Durchgang zu und schaute auf das dahinterliegende, schwach erhellte Exponat. Es handelte sich um das Innere des gespenstischen House of Hands Cave aus Arizona, das die Anasazi vor tausend Jahren bemalt hatten. Doch der Raum war leer, außerdem deutete das viele Bauholz, das immer noch überall herumlag, darauf hin, dass aller Wahrscheinlichkeit nach nur ein irgendwo angelehntes Brett schließlich zu Boden gefallen war.
Margo atmete tief durch. Die Stille, das Unheimliche der Ausstellung jagte ihr jetzt doch mächtig Angst ein. Denk nicht daran, was früher passiert ist. Das Museum hat sich seither verändert, völlig verändert. Sie befand sich wahrscheinlich am sichersten Ort in New York. Die Sicherheitsmaßnahmen waren seit dem Debakel während der letzten großen Ausstellung vor sieben Jahren ein halbes Dutzend Mal verstärkt worden. Das neue Sicherheitssystem, dessen letzte Version im Augenblick noch installiert wurde, war das beste, das es auf dem Markt gab. Niemand konnte in diesen Saal ohne eine Magnetschlüsselkarte gelangen, zudem zeichnete das Kartenlesegerät sowohl die Identität jeder Person, die die Sperre passierte, als auch den Zeitpunkt auf.
Margo wandte sich um. Sie wollte die Ausstellungsräume verlassen. Zum Schutz vor der Stille summte sie leise vor sich hin. Aber noch ehe sie die Halle durchquert hatte, hörte sie erneut das Geklapper von Holz und hielt inne – diesmal kam das Geräusch aus dem vor ihr liegenden Raum.
»Hallo?«, rief sie, wobei ihre Stimme in dem stillen Saal unnatürlich laut klang. »Ist da jemand?«
Sie erhielt keine Antwort.
Wahrscheinlich war es einer der Wachmänner, der bei seiner Runde durch das Museum über ein loses Brett gestolpert war. Damals, in den alten Tagen, hatte man Wärter, als sie die Behältnisse mit Konservierungsmitteln aus Spiritus in der Abteilung für Entomologie entdeckt hatten, betrunken vorgefunden. Manche Dinge änderten sich vermutlich nie.
Margo steuerte auf den Eingang der Ausstellung zu und durchmaß schnellen Schrittes die dunklen Ausstellungssäle, während ihre Absätze ein beruhigendes Klicken auf dem gefliesten Fußboden erzeugten.
Plötzlich hörte sie ein lautes Schnappen – und alle Ausstellungssäle waren in tiefes Dunkel gehüllt. Unmittelbar darauf ging die Notbeleuchtung an: Reihen von Neonröhren in der Decke, die erst zu summen anfingen und dann, eine nach der anderen, aufleuchteten.
Abermals versuchte Margo, ihr Herzklopfen in den Griff zu bekommen. Mach dich nicht lächerlich. Du bist nicht zum ersten Mal während eines Stromausfalls im Museum; so etwas passiert in dem alten Kasten doch andauernd. Es gibt
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