Pendergast 06 - Dark Secret - Mörderische Jagd
laufen.
Keuchend lief Smithback über den Korridor, vorbei an den letzten der von der Decke baumelnden Glühbirnen und wieder zurück in die völlige, endlose, schützende Dunkelheit …
Und im selben Moment stieß er gegen irgendetwas Kaltes und Hartes, so dass er jählings gestoppt wurde. Ein wüster Schmerz durchzuckte seinen Kopf und seine Brust: weißes Licht explodierte in seinem Schädel; und während Smithback das Bewusstsein verlor und zu Boden sank, spürte er als Letztes, wie ihn jemand mit klauenartigem, stahlhartem Griff an den Schultern packte.
33
»Wer…?« Margo kreischte fast, hielt das Teppichmesser in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war, und schwang das Messer hin und her. »Wer sind Sie?«
»Ich.«
»Wer ist ›ich‹, und was zum Teufel wollen Sie?«
»Ich suche nach einem ehrlichen Mann… oder einer ehrlichen Frau, je nachdem.« Eine leise, fast effeminierte Stimme.
»Komm mir ja nicht zu nahe«, schrie sie und hielt den Teppichschneider mit ausgestrecktem Arm ins Dunkel. Sie bemühte sich, ihr pochendes Herz zu beruhigen und sich zu konzentrieren. Der Mann war kein Witzbold – sondern höchst gefährlich, das spürte sie instinktiv. Gleich musste die Notbeleuchtung wieder angehen; sie musste es – das ging automatisch. Doch während die Sekunden verstrichen, spürte Margo, dass sich ihre panische Angst weiterhin steigerte. Hatte der Mann vielleicht die Stromzufuhr zur Notbeleuchtung gekappt? Das schien ihr unwahrscheinlich. Was ging hier bloß vor?
Margo versuchte mit aller Kraft, Herrin ihrer Sinne zu werden. So leise wie möglich bewegte sie sich vorwärts, schlurfte über den Fußboden, trat vorsichtig über Gegenstände, wenn sie mit den Fußspitzen leicht dagegenstieß, und stach mit dem Teppichmesser in verschiedene Richtungen. Sie hatte eine vage Vorstellung, wo sich der Eingang befand, aber im Moment schien der Mann Ruhe zu geben – vielleicht verwirrte ihn das Dunkel ja genauso wie sie. Sie erreichte die gegenüberliegende Wand und tastete sich daran entlang. Schließlich berührten ihre Hände den kalten Stahl der Sicherheitstür. Ungeheuer erleichtert tastete sie nach dem Griff, fand das Kartenlesegerät, nahm ihre Karte aus der Tasche und zog sie durch den Schlitz.
Nichts.
So rasch, wie sich das Gefühl der Erleichterung eingestellt hatte, verebbte es wieder und wich einer dumpfen, pochenden Angst. Natürlich: das Magnetschloss war elektrisch, der Strom ausgeschaltet. Sie versuchte die Tür zu öffnen, rüttelte an dem Türknauf und warf sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen die Tür, aber die bewegte sich keinen Millimeter.
»Bei Stromausfall«, ließ sich das dünne Sümmchen vernehmen, »riegelt das Sicherheitssystem alle Türen ab. Du kommst hier nicht raus.«
»Wenn du mir zu nahe kommst, schlitz ich dich auf!«, schrie Margo, während sie herumwirbelte, sich mit dem Rücken gegen die Tür lehnte und das Teppichmesser ins Dunkel streckte.
»Das solltest du lieber bleiben lassen. Wenn ich Blut sehe, wird mir nämlich ganz schwindlig… vor Lust.«
Ihre Angst machte sie klarsichtig, und deshalb wusste Margo, dass sie dem Mann keine Antwort mehr geben durfte. Vielmehr musste sie in die Offensive gehen. Sie bemühte sich, ruhig zu atmen, ihre Angst zu beherrschen. Sie musste etwas Unvorhersehbares tun, ihn überraschen, den Spieß umdrehen. Sie trat einen Schritt nach vorn, ganz leise.
»Und wie reagierst du auf den Anblick von Blut, Margo?«, ließ sich das sanfte Flüstern vernehmen. Sie bewegte sich langsam auf die Stimme zu. »Blut ist doch ein ganz besonderer Saft, nicht wahr? Es hat eine so vollkommene, außergewöhnlich schöne Farbe und steckt so voller Leben mit all seinen roten und weißen Blutkörperchen und Antikörpern und Hormonen. Es ist eine lebendige Flüssigkeit. Selbst wenn man sie auf einen schmutzigen Museumsboden verschüttet, lebt sie weiter – zumindest eine Zeit lang.«
Margo trat noch einen Schritt auf die Stimme zu. Jetzt war sie dem Mann sehr nahe. Sie wappnete sich. Dann sprang sie, in einer verzweifelten Bewegung, nach vorn und schwang das Teppichmesser in einer weit ausholenden Bewegung; es berührte irgendetwas und fegte hindurch. Als sie zurücksprang, hörte sie ein ersticktes Geräusch, einen gedämpften Laut der Überraschung.
Sie wartete im Dunkeln, alle Muskeln gespannt, und hoffte, eine Arterie aufgeschlitzt zu haben.
»Bravo, Margo«, sagte die Flüsterstimme. »Ich bin beeindruckt. Du hast meinen
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