Pendergast 07 - Maniac - Fluch der Vergangenheit
Gebäude von
Effective Engineering Solutions
, den Rücken fest gegen die Tür gelehnt, regungslos. Er nahm die extravagante Einrichtung in Augenschein: die mit Perserteppichen bedeckte Couch, die afrikanischen Masken, den Beistelltisch, die Bücherborde, die seltsamen Kunstgegenstände.
Er holte tief Luft, um sich zu beruhigen. Unter großer Willensanstrengung ging er zur Couch hinüber, legte sich langsam darauf, faltete die Hände auf der Brust, schlug die Unterschenkel übereinander und schloss die Augen.
Im Laufe seines Berufslebens war Pendergast in viele schwierige und gefährliche Lagen geraten. Und doch kamen diese nicht entfernt der Situation gleich, der er sich jetzt in diesem kleinen Zimmer gegenübersah.
Er fing mit einer Reihe einfacher Körperübungen an. Verlangsamte seine Atmung und seinen Herzschlag. Verschloss sich allen äußeren Sinneseindrücken: dem Knacken der Heizungsanlage, dem leichten Geruch nach Möbelpolitur, dem Druck der Couch unter ihm, der Wahrnehmung seines eigenen Körpers.
Zum Schluss – als seine Atmung kaum noch zu vernehmen war und sein Puls nur noch vierzig Schläge in der Minute betrug – ließ er vor seinem inneren Auge ein Schachbrett erstehen. Seine Finger huschten über die oft benutzten Figuren. Auf dem Brett wurde ein weißer Bauer gezogen. Ein schwarzer Bauer reagierte. Die Partie ging weiter, bewegte sich auf ein Patt zu. Noch ein Spiel begann, endete auf die gleiche Weise. Dann noch eines und noch eines, doch ohne das erwartete Ergebnis. Pendergasts Palast der Erinnerung – der Wissens- und Informationsspeicher, in dem er seine persönlichsten Geheimnisse aufbewahrte und aus dem heraus er seine tiefste Meditationund Innenschau durchführte – erschien einfach nicht vor seinem inneren Auge.
Pendergast änderte im Geist die Art des Spiels, wechselte von Schach zu Bridge. Statt zwei Spieler gegeneinander antreten zu lassen, stellte er vier auf, die als Partner spielten, was eine endlose Zahl von Strategien ermöglichte sowie Fingerzeige, die man übersehen oder geben konnte. Rasch spielte er eine Partie, dann noch eine.
Der Erinnerungspalast wollte einfach nicht erscheinen. Er blieb außer Reichweite, verschob sich, blieb gestaltlos.
Pendergast wartete und verringerte seinen Herzschlag und seine Atmung noch weiter. Ein solcher Fehlschlag war ihm noch nie passiert.
Indem er in eine der schwierigsten Chongg-Ran-Übungen eintauchte, löste er nun seinen Geist von seinem Körper, dann hob er sich über diesen und schwebte körperlos im Raum. Mit geschlossenen Augen erschuf Pendergast ein virtuelles Konstrukt des Raumes, in dem er lag, und stellte sich jeden Gegenstand darin vor, bis der gesamte Raum, komplett bis ins letzte Detail, vor seinem Geist entstanden war. Mehrere Augen blicke verharrte Pendergast darüber. Und dann begann er, Stück für Stück, die Möbel, die Teppiche, die Tapete zu entfernen, bis zum Schluss alles fort war.
Doch dabei ließ er es nicht bewenden. Denn als Nächstes entfernte er vollständig die hektische, betriebsame Stadt, die den Raum umgab: zuerst Haus um Haus, dann Straßenzug um Straßenzug und schließlich Viertel um Viertel. Dabei lief der Akt des verstandesmäßigen Vergessens immer schneller ab und breitete sich rasend schnell, in alle Richtungen aus. Sodann verschwanden die Countys, dann die Bundesstaaten, der Kontinent, die Erde, das Universum – alles löste sich auf, verschwand im Dunkeln.
Innerhalb von Minuten war alles fort. Nur Pendergast selbstwar noch da, in einer unendlichen Leere schwebend. Dann brachte er, mit bloßer Willenskraft, den eigenen Körper zum Verschwinden, die Dunkelheit verschlang ihn. Jetzt war das Universum völlig leer, leer geräumt von allen Gedanken, allem Schmerz und aller Erinnerung, aller greifbaren Existenz. Pendergast hatte den Zustand des sogenannten Sunyata erreicht: Einen Augenblick lang – oder war es eine Ewigkeit – hörte die Zeit selbst auf zu existieren.
Und dann erschien in seinem Geist die alte herrschaftliche Villa an der Dauphine Street, das Haus, in dem er und Diogenes aufgewachsen waren. Pendergast stand davor, auf der kopfsteingepflasterten Straße, und blickte durch den hohen schmiedeeisernen Zaun auf die Dächer, die Erkerfenster, den Kapitänsausguck, die Zinnen und Türmchen. Hinter der hohen Backsteinmauer an der einen Seite verbarg sich ein üppiger französischer Garten.
Im Geiste öffnete Pendergast das riesige Eisentor, ging die Auffahrt hinauf und blieb
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