Pendergast 08 - Darkness - Wettlauf mit der Zeit
entdeckt, wer das Agozyen in die Welt gelassen hat, und warum.«
»Wer?«
»Es war der heilige Lama in der Wand. Der sehr alte.«
»Der eingemauerte Anachoret?«
»Ja. Jordan Ambrose war fasziniert von diesem Mann und wollte mit ihm sprechen. Der Lama hat Ambrose ins innere Kloster gelassen, hat ihn dazu überredet, das Agozyen zu stehlen. Aber nicht, um rein zu waschen die Welt von Menschen. Lama hatte anderen Grund.«
»Und der wäre?«
»Es ist schwierig zu erklären. Bevor du im Frühjahr hierhergekommen bist, ist Seine Heiligkeit der Ralang Rinpoche gestorben. Er war die achtzehnte Inkarnation des Rinpoche, der dieses Kloster vor langer Zeit gegründet hat. Wir können nicht weitermachen als Kloster ohne unseren inkarnierten Lehrer. Und so, wenn ein Rinpoche stirbt, müssen wir in die Welt hinausgehen, um seine Reinkarnation zu finden. Wenn wir das tun, bringen wir das Kind in das Kloster zurück und erziehen es zum nächsten Rinpoche. So haben wir das immer gemacht. Als der siebzehnte Rinpoche 1919 starb, war Tibet ein freies Land, und es war noch möglich, hinauszugehen und seine Reinkarnation zu finden. Doch nun ist der achtzehnte Rinpoche tot und Tibet besetzt. Freies Reisen für tibetische Mönche ist sehr schwierig und gefährlich. Chinesen verhaften tibetische Mönche, die auf solchen Missionen sind, schlagen sie, manchmal töten sie sie. Der heilige Mann in Mauer weiß viele tiefe Dinge. Er wusste von Prophezeiung, die sagt:
Wenn
wir nicht hinausgehen und neuen Rinpoche finden können, dann wird neuer Rinpoche stattdessen kommen nach Gsalrig Chongg. Wir werden diesen Rinpoche erkennen, weil er die Prophezeiung erfüllen wird, die in unserem heiligen Gründungstext des Klosters steht. Er lautet:
Wenn das Agozyen wandelt auf dem Westlichen Meer
Und Finsternis auf Finsternis sich dreht,
Wird Wasser sich erheben in Zorn
Und den großen Palast der Tiefe zerstören,
Da sollt ihr erkennen den Rinpoche an seinem Vormund,
Der mit der Grünen Tara zurückkehren wird,
Tanzend auf den Wassern des Westlichen Meeres
Aus dem zerstörten Palast der Tiefe.
»Um die Prophezeiung zu prüfen, hat der heilige Mann das Agozyen in die Welt entlassen, um zu sehen, wer es zurückbringt. Weil der Mann, der es zurückbringt, der Vormund des neunzehnten Rinpoche ist.«
Pendergast erlebte einen für ihn sehr seltenen Gefühlszustand: absolutes Erstaunen.
»Ja, Freund Pendergast, du hast den neunzehnten Rinpoche zu uns gebracht.« Tsering sah Pendergast mit leicht amüsierter Miene an. Und dann richtete er seinen forschenden Blick auf Constance.
Sie erhob sich. »Der Vormund des … verzeihen Sie, wollen Sie damit sagen, ich sei die Reinkarnation des Rinpoche? Aber das ist doch lächerlich – ich wurde geboren, lange bevor er starb.«
Das Lächeln des Mönches wurde breiter. »Ich spreche nicht von Ihnen. Ich spreche von dem Kind, das Sie in sich tragen.«
Pendergast staunte noch mehr. Er wandte sich an Constance, die den Mönch mit einem nicht entzifferbaren Ausdruck im Gesicht anstarrte.
»Kind?«, sagte Pendergast. »Aber du hast dich doch in die Feversham-Klinik begeben. Ich dachte – ich bin davon ausgegangen …«
»Ja«, antwortete Constance. »Ich bin in der Klinik gewesen. Aber da ist mir bewusst geworden, dass ich es nicht tun kann … nicht einmal, obwohl ich wusste, dass es
seines
ist.«
Es war Tsering, der die nun folgende Stille durchbrach. »Es gibt ein altes Sprichwort:
Führe mich in großes Unglück. Nur auf diesem Weg kann ich Negatives in Positives verwandeln
.«
Constance nickte und legte die Hand unbewusst auf die leichte Wölbung über ihrer Taille. Und dann lächelte sie, ein wenig schüchtern und geheimnisvoll.
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Anmerkungen der Autoren
Wir werden häufig gefragt, ob unsere Bücher in einer bestimmten Reihenfolge gelesen werden sollten, und wenn ja, wie diese lautet.
Diese Frage lässt sich am leichtesten für jene Romane beantworten, in denen Special Agent Pendergast vorkommt. Zwar stehen die meisten unserer Romane für sich, doch gibt es zahlreiche Bezüge zwischen ihnen. Inzwischen kommt es uns so vor, als würden mit jedem Roman, den wir gemeinsam schreiben, die Querverbindungen zwischen den Figuren und Ereignissen zahlreicher und enger. So tauchen zum Beispiel die Figuren aus einem Buch in einem späteren wieder auf, oder Handlungsstränge des einen Romans werden in einem späteren fortgeführt. Kurzum: Wir haben allmählich ein Universum geschaffen, in dem die
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