Pendergast 10 - Fever - Schatten der Vergangenheit
Auskunftsstation und bat um einige Dutzend lokale Manhattaner Zeitungen aus den späten 1870ern. Er blätterte sie aufs Geratewohl durch und blickte lustlos auf die Artikel, Bekanntmachungen und Annoncen. Natürlich war das ein hoffnungsloses Unterfangen. Er wusste ja gar nicht genau, wonach er suchte – er wusste im Grunde nicht mal, wieso er danach suchte. Was hatte diese psychisch schwerkranke Constance Greene, das ihn so stutzig machte? Es war ja nicht so, dass …
Plötzlich – er blätterte in einer Ausgabe aus dem Jahr 1879 des in Five Points erschienenen Boulevardblatts
New York Daily Inquirer
– hielt er inne. Auf einer Seite im Innenteil war ein Kupferdruck mit dem Untertitel
Gossenkinder beim Spielen
zu sehen. Die Illustration zeigte eine Reihe von äußerst ärmlichen, heruntergekommenen Wohnhäusern. Kleine Kinder mit schmutzigen Gesichtern, die Stickball auf der Straße spielten. Doch ein wenig abseits stand ein mageres Mädchen, das ihnen zusah, mit einem Besen in der Hand. Es war unterernährt, ausgezehrt geradezu, und wirkte, im Gegensatz zu den anderen Kindern bedrückt, beinahe verängstigt. Doch was Felder sofort ins Auge sprang, das waren die Gesichtszüge. Das Mädchen war Constance Greene wie aus dem Gesicht geschnitten.
Einen langen Augenblick betrachtete Felder den Kupferdruck. Dann legte er mit nachdenklicher, ernster Miene und sehr langsam die Seiten der Zeitung zusammen.
60
Caltrop, Louisiana
Eine rasche Abfolge von Schüssen ertönte, gleichzeitig hechtete Hayward zur Seite, und unmittelbar darauf folgte der Knall der Schrotflinte. Sie schlug hart auf dem Boden auf und spürte den Luftzug der Wolke aus Schrotkugeln, die an ihr vorbeipfiffen. Dann wälzte sie sich herum und riss ihre Waffe aus dem Holster. Doch der falsche Arzt hatte sich bereits umgedreht und rannte mit fliegenden Rockschößen zum Parkplatz. Hayward hörte weitere Schüsse und das Quietschen von Reifen und sah, wie ein alter Rolls-Royce mit qualmenden Reifen auf den Parkplatz gerast kam. Pendergast lehnte sich aus dem Fahrerfenster und feuerte aus einer Pistole, ähnlich wie ein Cowboy vom Rücken eines galoppierenden Pferdes.
Mit kreischenden Reifen ging der Rolls in einen Power-Slide. Noch bevor er zum Stehen kam, stieß Pendergast die Tür auf und lief auf Hayward zu.
»Mir geht’s gut!«, rief sie und versuchte aufzustehen. »Mir geht’s
gut,
verdammt noch mal! Sehen Sie mal – er flüchtet!«
Noch während sie das sagte, hörte sie, wie auf dem Parkplatz ein Automotor ansprang. Ein Wagen fuhr unter Reifengequietsche davon, die kurz aufscheinenden roten Rücklichter verschwanden von der Zufahrt.
Pendergast zog sie auf die Beine. »Wir haben keine Zeit zu verlieren. Folgen Sie mir.«
Er stürmte durch die Eingangstür; sie liefen an einer Szene einsetzender Panik und Bestürzung vorbei. Ein Sicherheitsbeamter hockte hinter dem Empfangstresen und schrie irgendwas in sein Handy, die Empfangsdame und mehrere Mitarbeiter lagen flach auf dem Boden. Pendergast ignorierte sie, stürmte durch eine weitere Doppeltür und schnappte sich den erstbesten Arzt, dem er begegnete.
»Der Code in drei-zwei-drei«, sagte er und zeigte seinen Dienstausweis. »In dem Zimmer findet ein Mordversuch statt. Dem Patienten wurde irgendein Medikament injiziert.«
Der Arzt erwiderte fast im gleichen Atemzug: »Hab verstanden. Gehen wir.«
Zu dritt liefen sie die Treppe zu D’Agostas Zimmer hinauf. Hayward sah sich einem regen Treiben gegenüber: Eine Gruppe von Schwestern und Ärzten arbeitete konzentriert und beinahe wortlos neben einer Reihe von Geräten. Lichter blinkten, Überwachungsmonitore piepten leise. D’Agosta lag im Bett, absolut reglos.
Der Arzt betrat ruhig das Zimmer. »Alle mal herhören. Diesem Patienten wurde ein Medikament injiziert, und zwar mit der Absicht, ihn zu töten.«
Eine der Schwestern hob den Kopf. »Wie um alles in der Welt –«
Der Arzt schnitt ihr mit einer Handbewegung das Wort ab. »Die Frage lautet: Mit welchem Medikament stehen die Symptome in Einklang?«
Es folgte ein anschwellendes Durcheinander von Stimmen, eine wilde Diskussion, ein neuerliches Betrachten von Diagrammen und Datenblättern. Der Arzt wandte sich zu Pendergast und Hayward um. »Sie können hier jetzt nichts mehr tun. Bitte warten Sie draußen.«
»Ich möchte hierbleiben«, sagte Hayward.
»Das geht nicht. Tut mir leid.«
Als Hayward sich umdrehte, ging wieder ein Alarm los; sie sah, wie sich auf dem EKG
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