Pendergast 10 - Fever - Schatten der Vergangenheit
-Monitor eine flache Linie bildete. »O mein Gott«, rief sie. »Lassen Sie mich hier warten, bitte,
bitte
–«
Die Tür wurde geschlossen, und Pendergast führte Hayward sanft aus dem Raum.
Das Wartezimmer war klein und steril, es standen nur ein paar Plastikstühle darin, und es gab nur ein Fenster, das in die Nacht hinausging. Hayward starrte blicklos in das schwarze Rechteck. Ihre Gedanken rasten, doch sie drehten durch, so als wären sie ein defekter Motor. Ihr Mund war trocken, ihre Hände zitterten. Eine Träne rann ihre Wange hinunter – eine Träne der Frustration und der ungerichteten Wut.
Sie spürte Pendergasts Hand auf ihrer Schulter. Sie schüttelte sie ab und trat einen Schritt zur Seite.
»Captain?«, ertönte die leise Stimme. »Darf ich Sie daran erinnern, dass ein Mordversuch stattgefunden hat – gegen Lieutenant D’Agosta. Und gegen Sie.«
Die kühle, abgeklärte Stimme drang durch den Nebel ihrer rasenden Wut. Sie schüttelte den Kopf. »Lassen Sie mich einfach zufrieden.«
»Sie müssen versuchen, das Problem wie eine Polizistin zu betrachten. Ich brauche Ihre Hilfe, und zwar sofort.«
»Ihr Problem interessiert mich nicht mehr.«
»Bedauerlicherweise ist es nicht mehr nur mein Problem.«
Sie starrte in die Dunkelheit, ballte die Fäuste. »Wenn er stirbt –«
Wieder hörte sie die abgeklärte, beinahe hypnotische Stimme. »Das liegt nicht in unserer Hand. Ich möchte, dass Sie mir jetzt ganz genau zuhören. Ich möchte, dass Sie einen Moment lang Captain Hayward sind, nicht Laura Hayward. Wir haben etwas Wichtiges zu besprechen. Sofort.«
Sie schloss die Augen; sie fühlte sich taub bis ins Mark. Sie hatte nicht einmal mehr die Kraft, Pendergast zu widersprechen.
»Wie es scheint«, sagte er, »haben wir es hier mit einem Mörder zu tun, der auch Arzt ist.«
Sie schloss die Augen. Sie war dem hier, der ganzen Sache, des Lebens überdrüssig. Wenn Vinnie starb … Sie verdrängte den Gedanken.
»Außerordentliche Maßnahmen wurden ergriffen, damit Vincents Aufenthaltsort geheim bleibt. Offensichtlich hatte der Beinahe-Mörder speziellen Zugang zu Patientenakten, Arzneimitteln und pharmazeutischen Akten. Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Die erste lautet, dass er oder sie dem Ärzteteam angehört, das Vincent behandelt, aber das wäre ein großer Zufall und äußerst unwahrscheinlich; alle Personen sind sorgfältig überprüft worden. Die andere Möglichkeit – meines Erachtens die zutreffende – ist, dass Vincent gefunden wurde, indem man den Weg der Schweineklappe zurückverfolgte, die man bei seiner Operation verwendete. Bei seinem Angreifer kann es sich sogar um einen Herzchirurgen handeln.«
Als sie schwieg, fuhr er fort. »Ist Ihnen klar, was das bedeutet? Es bedeutet, dass Vincent als Lockvogel benutzt wurde. Der Täter hat absichtlich ein tödliches Koma herbeigeführt, im Wissen, dass wir an Vincents Krankenbett eilen werden. Natürlich hat er vorausgesehen, dass wir zusammen eintreffen. Lediglich der Umstand, dass wir nicht gleichzeitig ankamen, hat uns gerettet.«
Sie kehrte ihm auch weiterhin den Rücken zu und verbarg ihr Gesicht.
Lockvogel.
Vinnie, als Lockvogel missbraucht. Nachdem er kurz geschwiegen hatte, redete Pendergast weiter.
»Uns sind im Moment die Hände gebunden. Dennoch: Ich glaube, eine entscheidende Entdeckung gemacht zu haben. Während wir getrennt waren, habe ich June Brodies Selbstmord genauer erforscht und bin dabei auf einige interessante Zufälle gestoßen. Wie wir wissen, ereignete sich der Selbstmord, nur eine Woche nachdem Slade bei dem Brand ums Leben kam. Ungefähr einen Monat später erzählt Junes Ehemann seinen Nachbarn, er werde ins Ausland verreisen – und ward nie wieder gesehen. Das Haus wurde verriegelt und schließlich verkauft. Ich habe versucht, ihn ausfindig zu machen, aber die Spur ist völlig kalt, außer dass ich keinerlei Hinweise fand, dass er das Land verlassen hat.«
Wider Willen wandte sich Hayward langsam um.
»June war eine attraktive Frau. Und allem Anschein nach hatte sie mit Slade eine Langzeit-Affäre.«
Schließlich äußerte sie sich. »Na und«, sagte sie schroff. »Dann war es eben kein Selbstmord. Der Ehemann hat sie ermordet und ist abgehauen.«
»Es gibt zwei Indizien, die gegen diese Annahme sprechen. Zum einen der Abschiedsbrief.«
»Er hat sie gezwungen, ihn zu schreiben.«
»Wie Sie wissen, waren an der Schrift keinerlei Anhaltspunkte für Stress zu erkennen. Und da ist noch
Weitere Kostenlose Bücher