Pendergast 10 - Fever - Schatten der Vergangenheit
glaubwürdige Geschichte zu erfinden, wie sich Mr. Tiny in den Hals geschnitten und wie der alte Larry dort sich in den Fuß geschossen hat. Weil der Captain und ich Wichtigeres zu tun haben und wir keine weiteren Unterbrechungen dulden werden. Angenommen, ihr ärgert uns nicht weiter – und angenommen, ihr lasst mein ziemlich teures Auto in Ruhe –, sehen wir keinerlei Notwendigkeit, irgendjemanden anzuklagen oder festzunehmen. Nicht wahr, Captain?«
Sie schüttelte den Kopf. Komisch, aber Pendergasts Art, etwas zu regeln, ergab Sinn – jedenfalls hier draußen, am Ende der Welt, ohne Unterstützung, vor einer Menschenmenge, die nichts sehnlicher wünschte, als sie erst reihum zu vergewaltigen und dann sie beide zu ermorden und ihre Leichen im Sumpf zu versenken.
Pendergast bestieg das Sportfischerboot. Hayward folgte, wobei sie sich zwischen den diversen Waffen behutsam den Weg bahnte. Pendergast startete den Außenbordmotor und steuerte das Boot vorwärts; die Boote ringsum machten widerstrebend eine Gasse frei. »Wir werden uns alle wiedersehen«, rief er. »Ich bedauere zu sagen, dass es weitere Unannehmlichkeiten geben könnte.«
Dann gab er Vollgas, steuerte das Fischerboot in den breitesten Zufluss am Ende des Bayou und fuhr im schwindenden Abendlicht Richtung Süden, hinein in die dichte, direkt vor ihnen liegende Mauer aus Pflanzen und Bäumen.
68
Malfourche, Mississippi
Aus seinem geparkten Escalade, dessen Klimaanlage voll aufgedreht war, beobachtete Mike Ventura, wie die Boote langsam und mühselig wieder in ihre Liegeplätze hinter Tiny’s einliefen. Die Sonne war gerade eben über dem Wasser untergegangen, der Himmel ein schmutziges Orange. Allmählich wurde ihm mulmig zumute; das sah gar nicht wie ein Stoßtrupp aus, der von einem erfolgreichen Einsatz zurückkehrte. Als eines der letzten Boote mit Tiny an Bord hereinkam, der mit einem blutverschmierten zusammengeknüllten Taschentuch am Hals und Blut auf der einen Seite seines Hemds auf den Steg taumelte, wusste er mit Sicherheit, dass irgendwas schiefgegangen war.
Zwei Männer stützten Tiny, je einer hatte sich einen fleischigen Arm um die Schultern gelegt, während Tiny in sein Lokal schlurfte. Unterdessen hatten andere aus der Gruppe Ventura entdeckt, machten ihm Zeichen und kamen langsam auf ihn zu. Glücklich sahen die Männer nicht gerade aus.
Ventura streckte den Arm aus und verriegelte die Türen, die klickend einrasteten. Schweigend umstellten die Männer seinen Wagen; ihre hochroten Gesichter waren schweißnass.
Ventura öffnete das Seitenfenster einen Spaltbreit. »Was ist passiert?«
Keiner antwortete. Nach einem Moment der Anspannung hob ein Mann die Faust und hieb damit auf die Motorhaube, dass es knallte.
»Was zum Teufel?«, rief Ventura.
»Was zum Teufel?«, schrie der Mann.
»Was zum Teufel?«
Noch ein Hieb mit einer Faust. Und dann, ganz plötzlich, schlugen die Männer auf den Wagen ein, traten gegen die Seiten, fluchten und spuckten. Erstaunt und völlig verängstigt schloss Ventura das Fenster und legte den Rückwärtsgang ein, wobei er so schnell rückwärtsfuhr, dass die, die hinter ihm standen, sich zur Seite werfen mussten, um nicht überfahren zu werden.
»Hurensohn!«, kreischte der Mob mit einer Stimme. »Lügner!«
»Das waren Bullen, Arschloch!«
»Du hast uns angelogen, Dreckskerl!«
Ventura kurbelte fieberhaft am Lenkrad, dann schaltete er die Automatik auf Fahren und gab Vollgas, wodurch Schmutz und Kies in einem 180-Grad-Bogen aufspritzten. Noch während er beschleunigte, prallte ein großer Stein gegen das Heckfenster, so dass sich sofort ein Spinnennetz aus Rissen bildete.
Als er auf die schmale Landstraße bog, klingelte sein Handy. Er ging ran: Judson.
Scheiße.
»Ich bin fast da«, erklang Judsons Stimme. »Wie ist’s gelaufen?«
»Irgendwas ist schiefgegangen. Und zwar richtig schief.«
Als Ventura schließlich auf seinem sehr gepflegten Grundstück am Rand des Sumpfgebiets ankam, stand Esterhazys Pick-up schon da. Der hochgewachsene, in Khaki gekleidete Esterhazy stand, seine Waffen ausladend, neben der Ladefläche. Ventura fuhr neben ihn und stieg aus. Esterhazy drehte sich mit düsterer Miene zu ihm um.
»Was ist denn mit Ihrem Auto passiert?«, fragte er.
»Die Sumpfbewohner haben es attackiert. Drüben in Malfourche.«
»Haben Sie die Sache geregelt?«
»Nein. Tiny ist mit einer Halswunde zurückgekommen, und allen wurden die Waffen abgenommen. Die wollten mich
Weitere Kostenlose Bücher