Pendergast 10 - Fever - Schatten der Vergangenheit
Pendergast drehte sich um. »Wir befinden uns hier in einem der ältesten Abschnitte der Dauphine Street, im Herzen des French Quarter, des
echten
French Quarter.«
D’Agosta brummte irgendetwas. Da sah er, dass der Parkwächter sie von der anderen Seite des Parkplatzes mit einem gewissen Argwohn beobachtete.
Pendergast streckte den Arm aus. »Das zauberhafte neoklassizistische Stadthaus hier zum Beispiel wurde von einem der berühmtesten der ersten New-Orleans-Architekten erbaut, James Gallier Senior.«
»Wie’s aussieht, wurde es in ein Holiday Inn umgewandelt«, sagte D’Agosta mit einem Blick auf das Schild an der Fassade.
»Und das prächtige Haus dort ist das Gardette–Le-Pretre-Haus. Erbaut für einen Zahnarzt, der aus Philadelphia hierherkam, als New Orleans noch spanisch war. Ein Pflanzer namens Le Pretre hat es neunzehnneununddreißig für über zwanzigtausend Dollar gekauft – eine ungeheure Summe zur damaligen Zeit. Die Le Pretres besaßen das Haus bis in die siebziger Jahre, aber leider ist es mit der Familie danach bergab gegangen. Inzwischen ist es, glaube ich, in Luxus-Eigentumswohnungen umgewandelt worden.«
»Okay«, sagte D’Agosta. Der Parkwächter kam mit mürrischer Miene zu ihnen herüber.
»Und direkt auf der anderen Straßenseite«, sagte Pendergast, »liegt das alte kreolische Cottage, in dem James Audubon eine Zeitlang mit seiner Frau, Lucy Bakewell, gewohnt hat. Heute beherbergt es ein kleines Museum.«
»Entschuldigen Sie«, sagte der Parkwächter, dessen Augen sich zu froschähnlichen Schlitzen verengten. »Vorsätzliches Herumlungern ist hier verboten.«
»Verzeihen Sie!« Pendergast zog einen Fünfzig-Dollar-Schein aus der Hosentasche. »Wie achtlos von mir, Ihnen kein Trinkgeld anzubieten. Ich beglückwünsche Sie zu Ihrer Achtsamkeit.«
Der Mann lächelte. »Na ja, ich wollt nicht … aber trotzdem vielen Dank, Sir.« Er nahm den Geldschein entgegen. »Lassen Sie sich ruhig Zeit, kein Grund zur Eile.« Er nickte, lächelte und ging zurück in sein Wachhäuschen.
Pendergast hatte es offenbar nach wie vor nicht eilig, den Parkplatz zu verlassen. Die Hände hinter dem dunklen Anzug verschränkt, ging er umher und blickte mal dahin und mal dorthin, als wäre er in einem Museumssaal, sein Gesichtsausdruck eine seltsame Mischung aus Wehmut, Verlust und etwas, das sich nicht so leicht bestimmen ließ. D’Agosta bemühte sich, seine zunehmende Verärgerung zu unterdrücken. »Suchen wir nun endlich Ihr Elternhaus?«, fragte er schließlich.
Pendergast drehte sich zu ihm um und sagte leise: »Aber wir haben es doch schon gefunden, mein lieber Vincent.«
»Und wo liegt es?«
»Genau hier.
Hier
stand Rochenoire.«
Auf einmal sah D’Agosta den asphaltierten Parkplatz mit ganz anderen Augen. Ein Windstoß wehte ein Stück ekligen Mülls vom Boden, wirbelte es herum und herum. Irgendwo schrie eine Katze.
»Nachdem das Haus abgebrannt war«, sagte Pendergast, »wurden die unterirdischen Grüfte entfernt, der Keller wurde zugeschüttet und der Rest planiert. Jahrelang war das hier ein unbebautes Grundstück, bis ich es schließlich an die Firma verpachtet habe, die diesen Parkplatz betreibt.«
»Das Grundstück gehört Ihnen noch immer?«
»Die Pendergasts verkaufen niemals Grundbesitz.«
»Ah ja, so.«
Pendergast wandte sich ab. »Rochenoire lag weit zurück von der Straße, davor befand sich ein französischer Garten. Ursprünglich war es ein Kloster, ein großes Steingebäude mit Erkerfenstern, Zinnen und einem Witwengang. Neogotisch, ziemlich ungewöhnlich für die Straße. Ich bewohnte eines der Eckzimmer, im ersten Stock, dort oben.« Er zeigte in die Luft. »Von dort blickte man über das Audubon-Cottage hinweg zum Fluss, das andere Fenster ging hinaus zum Le-Pretre-Haus. Ah, die Le Pretres … ich habe sie damals stundenlang beobachtet, wenn sie hinter den erleuchteten Fenstern auf und ab gingen, und ihr theatralisches Getue belauscht.«
»Und Helen haben Sie im Audubon-Museum, das gegenüber liegt, kennengelernt?« D’Agosta hoffte, mit seiner Frage das Gespräch zurück auf die anstehende Aufgabe zu lenken.
Pendergast nickte. »Ich hatte dem Museum unser Doppelelefantfolio für eine Ausstellung ausgeliehen und wurde zur Vernissage eingeladen. Die waren immer begierig, das Exemplar unserer Familie in die Finger zu bekommen, das mein Ururgroßvater direkt bei Audubon subskribiert hatte.«
Pendergast stockte. In dem grellen Licht, in das der Parkplatz
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