Pendergast 10 - Fever - Schatten der Vergangenheit
Schreie aus den oberen Stockwerken, die Flammen, die in den Nachthimmel schlugen … Er war erleichtert gewesen, als die überlebenden Angehörigen aus der Gegend fortzogen, denn die Pendergasts hatten ihm schon immer Angst eingejagt, vor allem dieser merkwürdige Bruder, Diogenes. Ihm war zu Ohren gekommen, dass Diogenes in Italien ums Leben gekommen sei. Außerdem hatte er gehört, dass Aloysius verschwunden sei. Das glaubte er nur zu gerne. Die Pendergasts waren eine Familie, die offenbar zum Aussterben verurteilt war.
»Ich wollte unserer kleinen Immobilie auf der anderen Straßenseite einen kleinen Besuch abstatten. Und weil ich in der Nähe war, dachte ich mir, ich schaue einmal kurz vorbei und mache einem alten Freund meine Aufwartung. Wie läuft’s denn in letzter Zeit mit dem Museum?«
»Immobilie? Sie meinen …?«
»Ganz genau. Der Parkplatz, auf dem früher einmal Rochenoire stand. Ich habe es nicht über mich gebracht, das Grundstück zu verkaufen, aus … aus
sentimentalen
Gründen.« Pendergast lächelte.
Tipton nickte. »Natürlich, natürlich. Was das Museum betrifft, so sehen Sie ja selbst, Mr. Pendergast, dass der Stadtteil sich sehr zum Schlechten verändert hat. Wir haben in jüngster Zeit kaum noch Besucher.«
»Das Viertel hat sich in der Tat verändert. Da ist es doch höchst angenehm, dass das Audubon Cottage immer noch genauso aussieht.«
»Wir bemühen uns, alles beim Alten zu belassen.«
Pendergast erhob sich und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. »Sie gestatten? Wie ich sehe, haben Sie im Moment geschlossen, ich würde mich aber trotzdem gern ein wenig umschauen. Um der alten Zeiten willen.«
Tipton erhob sich hastig. »Natürlich. Bitte entschuldigen Sie den Zustand des Audubon-Dioramas … ich war gerade dabei, es abzustauben.« Er war ihm ungeheuer peinlich, dass er den kleinen Akkusauger Audubon auf den Schoß gelegt und den Staubwedel gegen dessen einen Arm gestützt hatte, so als hätte irgendein Witzbold den bedeutenden Mann in eine Putzfrau verwandeln wollen.
»Erinnern Sie sich noch«, sagte Pendergast, »an die Sonderausstellung vor fünfzehn Jahren, die Sie kuratiert und für die wir Ihnen unser Doppelelefantenfolio ausgeliehen haben?«
»Selbstverständlich.«
»Es war eine sehr festliche Vernissage.«
»Das kann man wohl sagen, ja.« Tipton erinnerte sich nur zu gut an seinen Stress und sein Entsetzen, Menschentrauben dabei zuzusehen, wie sie mit randvollen Weingläsern zwischen den Exponaten umherspazierten. Es war ein wunderschöner Sommerabend gewesen, der Vollmond hatte geschienen, aber er war so kaputt gewesen, dass er kaum etwas mitbekommen hatte. Deshalb war es die erste und letzte Sonderausstellung, die er kuratiert hatte.
Pendergast begann, durch die Räume zu schlendern, und schaute dabei in die Glasvitrinen mit ihren Stichen und Zeichnungen und Vögeln, den Audubon-Andenken, den Briefen und Skizzen. Tipton folgte ihm auf dem Fuße.
»Wussten Sie eigentlich, dass meine Frau und ich uns hier kennengelernt haben? Damals, auf dieser Vernissage?«
»Nein, Mr. Pendergast, das war mir nicht bekannt.« Tipton war unbehaglich zumute. Pendergast wirkte merkwürdig aufgekratzt.
»Meine Frau – Helen – ich glaube, sie hat sich sehr für Audubon interessiert.«
»Ja, ganz gewiss.«
»Hat sie nach der Ausstellungseröffnung … das Museum noch einmal besucht?«
»O ja. Vorher und nachher.«
»Vorher?«
Der scharfe Ton, in dem die Frage gestellt wurde, ließ Tipton aufhorchen. »Ja, warum? Sie ist ab und zu hierhergekommen, um ihren Forschungen nachzugehen.«
»Ihren Forschungen«, wiederholte Pendergast. »Und das war wie lange, bevor meine Frau und ich uns kennengelernt haben?«
»Mindestens ein halbes Jahr vor jener Ausstellungseröffnung. Vielleicht länger. Sie war eine reizende Frau. Ich war so entsetzt, als ich erfuhr, dass sie –«
»Schon gut.« Jetzt war Pendergast offenbar milder gestimmt, zumindest schien er sich wieder im Griff zu haben. Dieser Pendergast ist schon ein komischer Kauz, dachte Tipton, genauso wie die anderen aus der Familie. Sich exzentrisch aufzuführen, das war ja schön und gut in New Orleans, dafür war die Stadt schließlich berühmt, aber dieses Benehmen ging nun doch zu weit.
»Ich habe nie viel über Audubon gewusst«, fuhr Pendergast fort. »Und ich habe auch nie verstanden, was es mit diesen Forschungen auf sich hat. Können Sie sich noch gut an die Besuche meiner Frau erinnern?«
»Ein
Weitere Kostenlose Bücher