Pendergast 10 - Fever - Schatten der Vergangenheit
Ein zerzaust aussehendes Ding, die Federn waren geknickt oder fehlten ganz, da und dort ragte das Füllmaterial heraus. Gleichzeitig täuschte er – erfolgreich, wie er hoffte – große Konzentration vor, hielt inne und machte sich unleserliche Notizen.
Dann richtete er sich auf. »Vielen Dank. Der nächste auf meiner Liste ist der Amerikanische Goldfink.«
»Kommt sofort.«
Wieder tat er so, als würde er den Vogel untersuchen und durch die Lupe betrachten, und wieder machte er sich Notizen und redete dabei mit sich selbst.
»Hoffentlich finden Sie, wonach Sie suchen«, sagte Marchant hoffnungsvoll.
»O ja, bestimmt. Danke.« Die ganze Angelegenheit langweilte ihn immer mehr, außerdem war ihm von dem Mottenkugelgeruch leicht übel.
»Und nun«, er tat so, als konsultiere er sein Notizbuch, »schaue ich mir mal den Karolinasittich an.«
Jähes Schweigen. Verwundert sah D’Agosta, dass Marchant ein wenig rot geworden war. »Verzeihen Sie, aber das Präparat haben wir nicht.«
D’Agosta merkte, dass seine Gereiztheit zugenommen hatte: Die hatten das Präparat gar nicht, wegen dem er hergekommen war. »Aber in allen Nachschlagewerken steht, dass es hier ist. Es heißt sogar, dass das Museum zwei davon besitzt.«
»Wir haben sie nicht mehr.«
»Und wo sind sie?«, fragte er sichtlich verärgert.
Darauf folgte ein langes Schweigen. »Ich fürchte, sie sind verschwunden.«
»Verschwunden? Verlorengegangen?«
»Nein, nicht verlorengegangen. Gestohlen. Vor vielen Jahren, als ich hier noch Assistentin war. Nur ein paar Federn sind übrig geblieben.«
Das weckte sofort D’Agostas Interesse. Sein Polizisten-Radar setzte sich in Gang. Plötzlich war ihm klar, dass das hier doch keine sinnlose Unternehmung war. »Hat es eine polizeiliche Ermittlung gegeben?«
»Ja, aber eine ziemlich oberflächliche. Es ist schwierig, die Polizei für zwei gestohlene Vögel zu begeistern, auch wenn es sich um eine ausgestorbene Art handelt.«
»Haben Sie eine Kopie des damaligen Berichts?«
»Wir halten in unseren Büchern hier eine äußerst gute Ordnung.«
»Ich würde mir den Bericht gern einmal ansehen.«
Er spürte, dass Marchant ihn neugierig betrachtete. »Verzeihen Sie, dass ich danach frage, Dr. D’Agosta, aber warum wollen Sie das? Die Vögel sind seit mehr als einem Dutzend Jahren verschollen.«
Das änderte die Situation völlig. D’Agosta überlegte. Er traf einen schnellen Entschluss, griff in die Tasche und holte seinen Dienstausweis heraus.
»Oh.« Sie blickte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Sie sind ja Polizist. Und gar nicht Ornithologe.«
D’Agosta steckte die Dienstmarke wieder ein. »Das stimmt. Ich bin Lieutenant Detective beim New Yorker Morddezernat. Und nun seien Sie so lieb und holen Sie die Akte.«
Sie nickte und fragte zögerlich: »Worum geht’s denn?«
D’Agosta registrierte eine gewisse Aufgeregtheit, eine gewisse unterdrückte Erregtheit in ihrem Blick. »Um Mord natürlich«, sagte er und lächelte.
Sie nickte erneut und erhob sich. Einige Minuten später kam sie mit einer dünnen Aktenmappe zurück. Als er die aufschlug, fand er darin einen höchst flüchtig verfassten Polizeibericht, ein einziger, hingeschluderter Absatz, in dem lediglich stand, dass eine Routineüberprüfung der Sammlung ergeben habe, dass die Vögel fehlten. Keinerlei Anzeichen für einen Einbruch, keine anderen Gegenstände gestohlen, keine Beweismittel am Tatort gesammelt, keine Fingerabdrücke genommen und keine Verdächtigen aufgeführt. Das einzig Brauchbare war der Zeitrahmen, der für den Diebstahl genannt wurde. Dieser musste zwischen dem 1. September und 1. Oktober stattgefunden haben, weil die Sammlung einmal im Monat auf ihren Bestand überprüft wurde.
»Haben Sie Aufzeichnungen darüber, welche Forscher die Sammlungen genutzt haben?«
»Ja. Aber wir überprüfen die Sammlung, nachdem sie gegangen sind, um sicherzugehen, dass sie nichts stibitzt haben.«
»Dann können wir den Zeitrahmen noch weiter einengen. Holen Sie mir bitte die Besucherbücher.«
»Sofort.« Marchant eilte davon, das Klappern ihrer Schuhe hallte im Dachgeschoss wider, während sie die schmale Treppe hinunterstieg.
Binnen weniger Minuten kehrte sie zurück, einen großen Buckram-Band in Händen, den sie mit einem lauten Knall auf einen Tisch in der Mitte des Raumes warf. Sie blätterte um, und D’Agosta schaute zu, bis sie schließlich die betreffende Seite aufgeschlagen hatte. D’Agosta überflog sie. Drei
Weitere Kostenlose Bücher