Pendergast 10 - Fever - Schatten der Vergangenheit
alle.«
Pendergast steckte die Papiere in einen braunen Umschlag. »Sie hatten vorhin erwähnt, dass andere Personen Interesse an Audubon und einem bestimmten Gemälde gezeigt hätten.«
Chausson nickte.
»Hieß das Gemälde vielleicht das Schwarzgerahmte?«
Chausson nickte erneut.
»Diese anderen Personen – wer waren sie, und wann waren sie hier?«
»Die eine war, warten Sie, vor etwa fünfzehn Jahren hier. Kurz nachdem ich hier als Geschäftsführer anfing. Die andere vielleicht ein Jahr darauf.«
»Ich bin also erst die dritte Person, die sich nach den Papieren erkundigt«, sagte Pendergast. »Nach Ihrem Tonfall zu urteilen, hatte ich angenommen, dass es mehr gewesen wären. Erzählen Sie mir von der ersten Person.«
Wieder seufzte Chausson. »Ein Kunsthändler, ein recht unappetitlicher Kerl. In meiner Branche lernt man, einen Menschen an seinem Benehmen, an seiner Wortwahl zu erkennen. Dieser Mann hat mir geradezu Angst eingejagt. Er war an dem Gemälde interessiert, das Audubon angeblich während seiner Zeit hier gemalt hat. Er hat angedeutet, dass er sich für meine Bemühungen erkenntlich zeigen würde. Er ist ziemlich wütend geworden, als ich ihm nichts erzählen konnte.«
»Hat er die Papiere gesehen?«, fragte Pendergast.
»Ich wusste damals noch nicht, dass sie existieren.«
»Erinnern Sie sich, wie der Mann hieß?«
»Ja. Blast. Einen solchen Namen vergisst man nicht.«
»Verstehe. Und die zweite Person?«
»War eine Frau. Jung, rötlich-braunes Haar, schlank. Sehr attraktiv. Sie war sehr viel angenehmer und besaß auch mehr Überredungskraft. Dennoch: Ich konnte ihr nicht viel mehr erzählen, als ich auch Blast gesagt hatte. Sie hat die Papiere durchgesehen.«
»Hat sie irgendwelche davon mitgenommen?«
»Das habe ich ihr nicht gestattet; ich glaubte, die Papiere könnten wertvoll sein. Aber jetzt will ich sie einfach nur noch loswerden.«
Pendergast nickte bedächtig. »Diese junge Frau – wissen Sie noch, wie sie hieß?«
»Nein. Es war komisch, sie hat mir ihren Namen nicht genannt. Ich entsinne mich, dass ich darüber nachgedacht habe, nachdem sie gegangen war.«
»Hatte sie einen ähnlichen Akzent wie ich?«
»Nein. Sie sprach mit einem Nordstaaten-Akzent. So wie die Kennedys.« Chausson erschauderte.
»Verstehe. Danke, dass Sie sich Zeit für mich genommen haben.« Pendergast wandte sich um. »Ich finde schon allein hinaus.«
»O nein«, sagte Chausson rasch. »Ich begleite Sie zu Ihrem Wagen. Ich
bestehe darauf.
«
»Keine Sorge, Mr. Chausson. Ich werde Ihren Gästen kein Sterbenswörtchen sagen.« Und dann schritt Pendergast – nachdem er sich kurz verneigt und, noch kürzer, recht traurig gelächelt hatte – rasch über den langen Flur in Richtung Außenwelt.
20
St. Francisville, Louisiana
D’Agosta fuhr vor dem weißgestrichenen, klassizistischen Plantagenhaus vor, das sich zwischen den Beeten mit verwelkten Blumen und den kahlen Bäumen abzeichnete. Aus dem winterlichen Himmel fiel ein leichter Regen, auf dem Asphalt standen Pfützen. Er blieb einen Moment in dem Mietwagen sitzen, lauschte im Radio dem miserablen Text von »Just You and Me« und versuchte, seine Verärgerung zu überwinden, die daher rührte, dass er zu einem besseren Botengang losgeschickt worden war. Was wusste er denn schon über tote Vögel?
Als der Song schließlich ausgeblendet wurde, erhob er sich von seinem Sitz, schnappte sich einen Regenschirm und stieg aus. Er ging die Stufen zum Oakley-Plantagenhaus hinauf und betrat die Veranda, deren Jalousie-Fenster wegen des starken Regens geschlossen waren. Nachdem er den tropfenden Regenschirm in einen Ständer gestellt hatte, zog er den Regenmantel aus, hängte ihn auf einen Kleiderständer und betrat das Gebäude.
»Sie müssen Dr. D’Agosta sein«, begrüßte ihn eine intelligente Frau mit schmalem Gesicht, die sich von ihrem Schreibtisch erhob und auf ihren ein wenig kurzen Beinen zu ihm herübergeeilt kam, wobei ihre Schuhe auf den Dielen laut und vernehmlich klapperten. »In dieser Zeit des Jahres kommen nicht viele Besucher zu uns. Ich bin Lola Marchant.« Sie streckte ihm die Hand entgegen.
Der kräftige Händedruck überraschte D’Agosta. Die mit Rouge, Puder und Lippenstift stark geschminkte Frau musste mindestens sechzig sein, sie war etwas beleibt und wirkte kerngesund.
»Schämen Sie sich! Ein so schlechtes Wetter mitzubringen!« Sie lachte auf. »Wie auch immer, Audubon-Forscher sind bei uns stets herzlich willkommen.
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