Pendergast 10 - Fever - Schatten der Vergangenheit
einer ausbrannte, warf man ihn einfach weg und bestellte sich einen neuen. Keine Trauer, kein Tod.
Wie anders war das in den Jahren, die er in Ländern der Dritten Welt verbracht hatte, ausgedörrt, von Moskitos zerstochen, von Guerillakämpfern bedroht und geplagt von Korruption, manchmal selbst erkrankt – als er versucht hatte, Epidemien einzudämmen. Er hatte Hunderten, vielleicht sogar Tausenden von Menschen das Leben gerettet, doch viele, so viele andere waren gestorben. Natürlich traf ihn daran keine Schuld. Aber dann war da noch diese andere Sache, das, woran er versuchte, nie zu denken. Diese Sache hatte ihn mehr als alles andere bewogen, Fleisch und Blut zu meiden und seine Befriedigung in Plastik und Silikon zu suchen …
Na bitte. Jetzt dachte er schon wieder daran. Er schüttelte den Kopf, wie um sich von der schrecklichen Schuld zu befreien, und wandte sich wieder dem Roboter zu. Langsam versickerten die Schuldgefühle. Geschehenes ließ sich nicht rückgängig machen, und seine Motive waren stets lauter gewesen. Ein Lächeln zog über sein Gesicht. Er hob die Hand und schnippte mit den Fingern.
Der Audio-Sensor des Roboters fing das Geräusch auf, worauf er zu der Geräuschquelle herumschwenkte. »Robo will einen Cracker«, krächzte er mit metallischer, körperloser Stimme.
Absurd erfreut darüber, erhob sich Blackletter und ging in die Küche, um sich eine letzte Tasse Tee zu kochen, bevor er für heute Schluss machte. Plötzlich hielt er inne, die Teekanne in der Hand, und lauschte.
Da war es wieder: das Knarren eines Dielenbretts.
Langsam stellte Blackletter die Kanne zurück auf die Arbeitsfläche. Der Wind? Aber nein, es war eine ruhige, windstille Nacht.
Vielleicht jemand auf der Straße? Aber dafür war das Geräusch zu nahe, zu deutlich.
Vielleicht war es ja auch nur Einbildung. Das Gehirn neigte dazu, wie er wusste. Wenn reale akustische Reize fehlten, lieferte es selbst welche. Er hatte jetzt stundenlang im Arbeitszimmer herumgebastelt und …
Wieder ein Knarren. Diesmal war Blackletter sich sicher. Das Geräusch kam aus dem Haus.
»Wer ist da?«, rief er. Das Knarren erstarb.
Ein Einbrecher? Unwahrscheinlich. In der Straße gab es weit größere, prächtigere Häuser als seins.
Wer konnte das sein?
Das Knarren setzte wieder ein, gleichmäßig, dringlich. Und jetzt konnte er auch feststellen, von wo es kam: aus dem Wohnzimmer im vorderen Bereich des Hauses.
Er warf einen Blick auf das Telefon und sah die leere Ladestation.
Verdammte schnurlose Telefone.
Wo hatte er das Ding bloß gelassen? Natürlich – es lag im Arbeitszimmer, auf dem Tisch neben dem Laptop.
Rasch kehrte er ins Arbeitszimmer zurück und griff nach dem Telefon. Dann erstarrte er. Jemand war im Flur, direkt vor der Tür. Ein hochgewachsener Mann im langen Trenchcoat trat aus dem Dunkel.
»Was haben Sie in meinem Haus verloren?«, fragte Blackletter scharf. »Was wollen Sie?«
Der Eindringling sagte nichts. Stattdessen schlug er den Mantel zurück und enthüllte die Doppelläufe einer abgesägten Schrotflinte. Der Kolben war aus schwerem dunklen Holz, mit Paisley-Rosetten beschnitzt, und die Läufe schimmerten bläulich im Licht des Arbeitszimmers.
Blackletter stellte fest, dass er unfähig war, den Blick von der Waffe zu wenden. Er trat einen Schritt zurück. »Warten Sie«, begann er. »Tun Sie das nicht. Sie machen einen Fehler … wir können doch reden …«
Die Waffe schwenkte hoch. Ein ungeheuer lauter, dröhnender Knall ertönte, als beide Läufe fast gleichzeitig abgefeuert wurden. Blackletter wurde zurückgeschleudert, prallte mit einem ohrenbetäubenden Krachen gegen die rückwärtige Wand und sackte dann zu Boden. Gerahmte Bilder und allerhand Schnickschnack regneten von den kleinen Holzregalen.
Die Haustür fiel bereits ins Schloss.
Der Roboter, dessen Audio-Sensoren das Geräusch aufgefangen hatten, schwenkte zur reglosen Gestalt seines Erbauers herum. »Robo will einen Cracker«, sagte er. Die blecherne Stimme wurde durch das Blut gedämpft, das seine Miniaturlautsprecher bedeckte. »Robo möchte einen Cracker.«
35
Port Allen, Louisiana
Der Tag war dunkel und regnerisch, ganz anders als der heitere, wolkenlose Vortag. D’Agosta hatte absolut nichts dagegen. So würde es im Doughnut-Laden weniger Kunden geben, mit denen sie sich befassen mussten. Pendergasts Plan erfüllte ihn mit gravierenden Bedenken.
Pendergast, der am Steuer des Rolls saß, nahm die Port-Allen-Abfahrt von
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