Pendergast 10 - Fever - Schatten der Vergangenheit
Bremslichter. Der Rolls schoss über die Eisenbahnschienen und hob kurz vom Boden ab, dann näherten sie sich der Kreuzung. Die Ampel schaltete auf Gelb und dann auf Rot.
»Herr im Himmel«, murmelte D’Agosta und packte den Griff der Beifahrertür.
Unter Betätigung der Lichthupe und wüstem Gehupe fand Pendergast eine Lücke zwischen den Fahrzeugen vor ihnen und dem entgegenkommenden Verkehr. Ein neues Hupkonzert ertönte, als sie über die regenglatte Kreuzung rasten, wobei sie knapp einem Achtzehntonner entgingen. Pendergast hatte den Fuß nicht vom Gaspedal genommen, so dass die Nadel des Tachos zitternd bei über hundert Meilen pro Stunde stand.
»Vielleicht sollten wir einfach anhalten und den Typen stellen«, schlug D’Agosta vor. »Ihn fragen, für wen er arbeitet.«
»Wie langweilig. Außerdem wissen wir, für wen er arbeitet.«
Sie zogen an einem Auto vorbei, dann an noch einem und noch einem, so schnell, dass die Fahrzeuge kaum mehr waren als stillstehende Farbflecke auf der Straße. Jetzt hatten sie den Verkehr hinter sich gelassen, die Straße vor ihnen war leer. Häuser, Geschäftsgebäude und gelegentlich ein trostlos aussehender Futtermittelladen oder Discounter blieben zurück, als sie ins Sumpfland hineinfuhren. Eine Gruppe Kreppmyrten, schwarze Wächter unter einem Himmel, der düster war wie das Metall einer Pistole, huschte in Windeseile vorbei. Die Scheibenwischer fuhren im stetigen Rhythmus über das Glas. D’Agosta gestattete sich, seinen Griff etwas zu lockern und sich ein wenig zu entspannen.
Er warf einen Blick über die Schulter zurück. Sie hatten es geschafft.
Nein
– nein, hatten sie nicht.
»Mist«, fluchte D’Agosta. »Er ist uns über die Kreuzung gefolgt. Hartnäckiger Scheißkerl.«
»Wir haben das, was er haben will«, sagte Pendergast. »Ein weiterer Grund dafür, dass wir uns nicht einholen lassen dürfen.«
Je weiter sie ins sumpfige Tiefland hineinfuhren, desto schmaler wurde die Straße. D’Agosta hielt den Blick nach hinten gerichtet, während sie eine lange, nicht einsehbare Kurve nahmen. Als die Limousine nicht mehr in Sicht war, verschwunden hinter der Kurve und hohem Sumpfgras, merkte er, dass der Rolls langsamer wurde.
»Das ist unsere Chance, ihn –«, begann er.
Plötzlich schwenkte der Rolls heftig zur Seite. D’Agosta, der fast nach hinten geschleudert worden wäre, kämpfte darum, seinen Sitz wiederzufinden. Sie waren von der Landstraße auf ein schmales, unbefestigtes Sträßchen abgebogen, das in den tiefsten Sumpf hineinführte. Auf einem dreckigen, verbeulten Schild stand DESMIRAIL WILDLIFE AREA – FORSTFAHRZEUGE FREI .
Der Wagen schleuderte heftig von einer Seite zur anderen, als sie die matschige Fahrspur entlang bretterten. D’Agosta flog gegen die Wagentür, und im nächsten Moment fühlte er sich aus dem Sitz gehoben; nur der Gurt verhinderte, dass er sich beim Zusammenstoß mit dem Wagendach eine Gehirnerschütterung zuzog. Noch eine Minute weiter so, dachte er grimmig, dann brechen uns beide Achsen. Er wagte einen erneuten Blick in den Rückspiegel, aber die Straße schlängelte sich derart, dass man nicht mehr als hundert Meter weit nach hinten sehen konnte.
Vor ihnen verengte sich die Straße und gabelte sich. Ein weit schmalerer, holpriger Fußweg bog davon ab und lief direkt an einem Bayou entlang. Eine Kette war davorgespannt, an der ein Schild hing: WARNUNG : GESPERRT FÜR KRAFTFAHRZEUGE .
Anstatt abzubremsen und in die Kurve zu gehen, stieg Pendergast aufs Gaspedal.
»Oha!«, rief D’Agosta, als sie direkt auf den Fußweg zuhielten. »Herr im Himmel –«
Mit einem Knall wie ein Flintenschuss brachen sie durch die Kette. Eine ungeheure Anzahl von Reihern, Geiern und Brautenten erhob sich mit protestierendem Krakeelen von den umstehenden Gelbholzbäumen und kahlen Zypressen. Der große Wagen schlingerte und ruckte einmal nach links, einmal nach rechts, immer wieder, bis D’Agosta nur noch verschwommen sah und ihm die Zähne im Schädel klapperten. Sie tauchten in ein Dickicht aus Zyperngras ein, und die hohen Halme teilten sich mit einem seltsamen
whack, whack
vor ihnen.
D’Agosta hatte ja schon einige haarsträubende Verfolgungsjagden mitgemacht, aber so etwas noch nicht. Das Sumpfgras war jetzt so hoch und dicht, dass sie nur wenige Wagenlängen vor sich erkennen konnten. Doch anstatt das Tempo zu drosseln, langte Pendergast hinüber und schaltete die Scheinwerfer ein, ohne abzubremsen.
D’Agosta klammerte
Weitere Kostenlose Bücher