Pendergast 10 - Fever - Schatten der Vergangenheit
Pendergast holte Tupfer und Bürstchen und einen Haufen Lösungs- und Reinigungsmittel und fing an, die Schmutzschicht zu entfernen – ich selbst durfte das Bild nicht anrühren. Nach ungefähr einer Viertelstunde hatte er einen kleinen Abschnitt des Gemäldes gereinigt, und dann –«
»Was?«
»… ist er urplötzlich erstarrt. Ehe ich wusste, wie mir geschah, hatte er mich aus der Bibliothek hinauskomplimentiert und die Tür abgeschlossen.«
»Einfach so?«
»Ja, einfach so. Und ich stand draußen im Flur. Ich hab nicht mal einen Blick auf das Gemälde erhaschen können.«
»Wie ich immer sage, der Typ hat sie nicht mehr alle.«
»Ich gebe zu, er hat so seine Eigenarten. Das war gegen drei Uhr morgens, also dachte ich mir, zum Teufel damit, und hab mich aufs Ohr gehauen. Ehe ich mich’s versah, war es Morgen. Er ist noch da drin und werkelt vor sich hin.«
Hayward spürte, wie ihr langsam der Kamm schwoll. »Typisch Pendergast. Vinnie, der Mann ist nicht dein Freund.«
Sie hörte D’Agosta seufzen. »Ich versuche immer wieder, mir in Erinnerung zu rufen, dass wir den Tod seiner Frau untersuchen, dass das alles ein gewaltiger Schock für ihn gewesen sein muss … Doch, er ist mein Freund, auch wenn er es auf merkwürdige Weise zeigt.« Er hielt kurz inne. »Irgendwas Neues über Constance Greene?«
»Sie ist unter Verschluss in der Justizvollzugsstation des Bellevue-Krankenhauses. Ich habe sie befragt. Sie beteuert immer noch, dass sie ihr Baby über Bord geworfen hat.«
»Hat sie gesagt, warum?«
»Ja. Sie sagt, dass es böse gewesen ist. Genau wie sein Vater.«
»Grundgütiger. Ich wusste ja, dass sie nicht mehr alle Tassen im Schrank hat, aber nicht, dass es so schlimm ist.«
»Wie hat Pendergast es aufgenommen?«
»Schwer zu sagen, wie immer bei Pendergast. Oberflächlich betrachtet, schien es ihn kaum zu berühren.«
Kurzes Schweigen. Hayward überlegte, ob sie versuchen sollte, Druck auf ihn auszuüben, damit er nach Hause kam, erkannte dann aber, dass sie ihm nicht noch eine zusätzliche Last aufbürden wollte.
»Da ist noch etwas«, sagte D’Agosta.
»Was denn?«
»Erinnerst du dich an den Typ, von dem ich dir erzählt habe – Blackletter? Helen Pendergasts früherer Chef bei Doctors With Wings?«
»Was ist mit ihm?«
»Er wurde vorgestern Abend in seinem Haus ermordet. Zwei Schüsse aus kürzester Entfernung, Kaliber zwölf. Hat ihm die Eingeweide aus dem Leib gepustet.«
»Gütiger Himmel.«
»Und das ist noch nicht alles. John Blast, dieser unappetitliche Bursche, mit dem wir in Sarasota gesprochen haben, erinnerst du dich? Der ebenfalls an dem Gemälde interessiert war? Ich hatte angenommen, dass der uns verfolgen lässt. Aber ich hab’s gerade in den Nachrichten gehört – er wurde ebenfalls erschossen, gestern, kurz nachdem wir uns das Gemälde geschnappt hatten. Ebenfalls mit zwei Zwölf-Kaliber-Patronen.«
»Hast du eine Ahnung, was da vorgeht?«
»Als ich von dem Mord an Blackletter hörte, dachte ich, dass Blast dahintersteckt. Aber jetzt ist der auch tot.«
»Typisch Pendergast. Wo er auftaucht, gibt’s Ärger.«
»Moment.« Es gab eine Pause von etwa zwanzig Sekunden, bevor D’Agostas Stimme wieder zu hören war. »Das war Pendergast. Er hat gerade an meine Tür geklopft. Das Bild ist jetzt gereinigt, sagt er, und er will meine Meinung hören. Ich liebe dich, Laura. Ich rufe heute Abend wieder an.«
Dann war die Leitung tot.
40
Penumbra-Plantage
Als D’Agosta die Tür seines Zimmers öffnete, stand Pendergast davor, die Hände im Rücken verschränkt. Er trug immer noch das karierte Arbeitshemd und die Jeans, die er bei ihrem Beutezug nach Port Allen angehabt hatte.
»Es tut mir sehr leid, Vincent«, sagte er. »Bitte vergeben Sie mir, was Ihnen als der Gipfel an Unhöflichkeit und Rücksichtslosigkeit meinerseits erscheinen muss.«
D’Agosta erwiderte nichts.
»Vielleicht werden die Dinge klarer, wenn Sie das Gemälde sehen. Wenn Sie nichts dagegen haben?« Er deutete auf die Treppe.
D’Agosta folgte ihm den mit opulenten Teppichen ausgelegten Flur hinunter. »Blast ist tot«, berichtete er. »Mit demselben Typ Waffe erschossen, mit der Blackletter getötet wurde.«
Pendergast blieb unvermittelt stehen. »Erschossen, sagen Sie?« Dann setzte er seinen Weg fort, wenngleich ein wenig langsamer.
Die Tür zur Bibliothek stand offen, und gelbes Licht fiel in die Eingangshalle. Stumm stieg Pendergast vor D’Agosta die Treppe hinab und trat durch
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