Pendergast 11 - Revenge - Eiskalte Täuschung
Welt und betrat einen schöneren Ort.
Nur heute nicht. Heute war ihm irgendwie anders zumute.
Er stieg die beiden Treppen zum großen Lesesaal hinauf und ging an den Dutzenden der langen Eichentische vorbei in eine der hinteren Ecken. Er stellte seine Tasche auf die zerkratzte Tischplatte und zog eine Tastatur zu sich heran.
Er überlegte. Es lag schätzungsweise ein halbes Jahr zurück, dass er sich erstmals mit dem Fall Constance Greene befasst hatte. Ursprünglich war es eine Routineangelegenheit gewesen: erneut eine vom Gericht angeforderte Befragung einer straffällig gewordenen psychiatrischen Patientin. Doch das Ganze hatte sich schnell ausgeweitet. Greene war anders als alle anderen Patienten, denen er begegnet war. Und plötzlich hatte er verwirrt, fassungslos, fasziniert und, ja, erregt reagiert.
Erregt.
Er hatte es sich schließlich selbst eingestehen müssen. Aber es lag nicht nur an ihrer Schönheit, sondern auch an ihrem seltsamen Gebaren, so als käme sie aus einer anderen Welt. Constance Greene hatte etwas Einzigartiges an sich, etwas, das über ihren offensichtlichen Wahnsinn hinausreichte. Und ebendieses Etwas trieb Felder um, trieb ihn dazu an, sie verstehen zu wollen. Auf eine Weise, die er nicht ganz begriff, verspürte er das tiefsitzende Verlangen, ihr zu helfen, sie zu
heilen.
Und dieser Wunsch wurde noch dadurch gesteigert, dass sie offenbar keinerlei Interesse daran hatte, dass man ihr half.
Und in diese seltsame Gemengelage von Gefühlen war Dr. Ernest Poole soeben eingedrungen. Dabei war sich Felder durchaus bewusst, dass er Poole gemischte Gefühle entgegenbrachte. Er hatte ein gewisses Besitzinteresse an Constance, und die Vorstellung, dass ein anderer Psychiater sie vor ihm untersucht hatte, fand er auf sonderbare Weise ärgerlich. Doch Pooles eigene Erfahrungen mit Constance – offenbar ganz andere als seine eigenen – boten vielleicht noch die beste Aussicht, in ihre Geheimnisse einzudringen. Dass Pooles klinische Bewertungen so ganz anders ausfielen, war dabei ebenso verwirrend wie ermutigend. Pooles Einschätzungen könnten eventuell einen einzigartigen, umfassenden Blick von allen Seiten auf das eröffnen, was – da war sich Felder zunehmend sicher –
die
Fallstudie seiner ganzen Berufslaufbahn werden würde.
Er legte die Finger auf die Tastatur und überlegte wieder.
Ich wurde tatsächlich in der Water Street geboren, in den Siebzigern – den Siebzigern des 19. Jahrhunderts.
Seltsam, Constances intensiver Glaube, gepaart mit ihren fotografischen, bislang noch nicht erklärlichen Kenntnissen über ihr altes Viertel, hatte ihn fast glauben gemacht, dass sie tatsächlich hundertvierzig Jahre alt war. Aber dass Poole von ihrer lakunären Amnesie gesprochen hatte, ihrer dissoziativen Fugue, das hatte ihn in die Wirklichkeit zurückgeholt. Dennoch: Er fand, dass er es Constance schuldete, eine letzte Recherche durchzuführen.
Schnell tippend, holte er sich die Datenbank der Periodika der Bibliothek auf den Bildschirm. Er würde noch eine Recherche durchführen, diesmal betreffend die siebziger Jahre des 19 . Jahrhunderts – der Zeitraum, in dem Constance laut eigener Aussage geboren wurde.
Er bewegte den Cursor auf das Feld »Suchparameter«, dann hielt er inne und las in seinen Notizen.
Als meine Eltern und meine Schwester starben, wurde ich Waise und obdachlos. Mr. Pendergasts Haus am Riverside Drive
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gehörte damals einem Mann namens Leng. Schließlich wurde es frei. Dort habe ich gewohnt.
Er würde nach drei Begriffen suchen: Greene, Water Street und Leng. Aus früheren Erfahrungen wusste er jedoch, dass er die Suchbegriffe vage halten musste – eingescannte Zeitungen waren berüchtigt wegen ihrer Fehlerhaftigkeit. Also würde er sich normale Begriffe ausdenken und eine logische UND -Verknüpfung eingeben.
Er tippte weiter und gab die Suchbedingungen ein:
[suchen] Greene [und] Wat St + Leng
Fast auf Anhieb landete er einen Treffer. Ein drei Jahre alter Artikel in der
New York Times.
Wieder Tastengeklapper. Dann erschien der Artikel auf dem Bildschirm. Felder begann zu lesen, und plötzlich stockte ihm fast der Atem.
Wiederentdeckter Brief wirft neues Licht auf Morde im 19 . Jahrhundert
Von WILLIAM SMITHBACK JR .
NEW YORK – 8 . Oktober. In den Archiven des New Yorker Museums für Naturkunde wurde ein Brief gefunden, der unter Umständen den grausigen Leichenfund erklären kann, der Anfang vergangener Woche im unteren Manhattan gemacht
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